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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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pflichtschuldig und wollte sich dann zum Ausgang herumdrehen, aber die Krankenschwester machte eine abwehrende Geste. »Wir nehmen einen anderen Weg«, sagte sie. »Kommen Sie.«
    Stefan folgte ihr zurück zur Theke. Sie wechselte ein paar Worte mit einer der beiden Schwestern dahinter, woraufhin diese ihr einen umfangreichen Schlüsselbund aushändigte. Während sie zum Aufzug zurückgingen, suchte sie mit raschen Bewegungen einen bestimmten Schlüssel heraus und klemmte ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger.
    Sie betraten den Lift. Schwester Marion drückte den Knopf für die unterste der drei Kelleretagen, und obwohl die Liftkabine groß genug war, ein Dutzend Fahrgäste aufzunehmen, trat sie ganz dicht an die verspiegelte Rückwand der Kabine heran, um Platz für ihn zu machen. Stefan fragte sich beiläufig, warum; vermutlich war es eine reine Angewohnheit. Marion war eine wirklich gutaussehende Frau, und die Legende, daß Krankenschwestern eine Art Freiwild waren, hielt sich bei einem bestimmten Typ Mann immer noch hartnäckig. Er respektierte diese unbewußte Botschaft jedenfalls und blieb direkt vor der Tür stehen, bis der Aufzug sein Ziel erreicht hatte und sie wieder ausstiegen.
    Aus der klinischen, in hellen Farben gehaltenen und sehr sauberen Umgebung des Krankenhauses traten sie in eine vollkommen andere Welt hinaus. Vor ihnen erstreckte sich ein langer, niedriger Gang aus nacktem Sichtbeton, unter dessen Decke sich ganze Bündel von Leitungen und verschiedenfarbigen Kabelkanälen entlangzogen. Die Luft war trocken und eine Spur zu warm und von einer Mischung aus aseptischem Krankenhausgeruch und dem Aroma eines Heizungskellers erfüllt, und er glaubte, ein ganz schwaches Vibrieren unter den Füßen zu spüren, als liefen irgendwo in der Nähe große Maschinen.
    »Die geheimen Ebenen, die nur Eingeweihten vorbehalten sind?« fragte er lächelnd, während Schwester Marion neben ihn trat. Sie hielt die Hand mit dem herausgesuchten Schlüssel wie eine Waffe vor sich, als gäbe es hier unten irgendwelche uralten Dämonen oder unsichtbare Geister, die sie damit in Schach halten wollte, und das Lächeln, mit dem sie auf seine Worte reagierte, wirkte ein bißchen nervös, so daß er fortfuhr: »Ich nehme an, hier unten finden die geheimen Experimente statt?«
    Schwester Marion nickte und ging mit raschen, fast zu sicheren Schritten voraus. Stefan sah sich automatisch nach einer Tür um, die sie mit diesem Schlüssel öffnen wollte, fand aber keine.
    »Ja«, sagte sie. »Wir arbeiten mit genmanipulierten Mäusen, die so groß werden wie Menschen, oder was haben Sie geglaubt, woher wir die ganzen Organe nehmen, die wir transplantieren?« Sie lachte, wurde dann wieder ernst und fuhr mit einem leisen Seufzen und einer Kopfbewegung auf eine schmale Metalltür zwanzig Schritte vor ihnen in der rechten Wand fort:
    »Hier unten ist unsere ganze Technik. Das meiste davon ist sehr kompliziert, und ich glaube, auch ziemlich teuer. Deshalb haben Besucher hier normalerweise auch keinen Zutritt. Wahrscheinlich hat jemand in der Verwaltung Angst, daß jemand unsere Heizungsanlage klaut oder das Notstromaggregat.« Sie öffnete die Tür, wartete, bis Stefan an ihr vorbeigetreten war und schloß sie hinter sich sorgsam wieder ab, behielt den Schlüsselbund jedoch in der Hand.
    Stefan sah sich neugierig um. Der Gang unterschied sich kaum von dem, aus dem sie gerade herausgekommen waren, wies aber wesentlich mehr Türen zu beiden Seiten auf, und er war so lang, daß sein Ende nicht zu erkennen war. Stefan vermutete, daß sich Korridore und Gänge unter dem gesamten Krankenhausgelände erstreckten. »Sie bekommen doch meinetwegen keinen
    Ärger?« erkundigte er sich.
    »Ach was«, antwortete Marion. Sie lachte leise. »Ehrlich gesagt, ich bin froh, daß Sie dabei sind.«
    »Warum?«
    »Ich finde es ziemlich unheimlich hier unten«, antwortete sie. »Aber es ist kürzer, als oben herum zu gehen«, antwortete Marion. »Und außerdem nicht so kalt. Davon abgesehen, finde ich es nicht besonders lustig, einen halben Kilometer durch einen menschenleeren Park gehen zu müssen, noch dazu bei Nacht. Die Verwaltung hat vor einem halben Jahr beschlossen, nur noch die Hauptwege zu beleuchten. Sparmaßnahmen!« Sie schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich werden sie das Licht erst wieder einschalten, wenn wirklich etwas passiert ist. Haben Sie von der Geschichte heute nachmittag gehört?«
    Stefan war froh, daß er einen halben Schritt hinter ihr

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