Wolfsinstinkt
verschiedensten Gedanken schossen ihm durch den Kopf, allen voran herrschte jedoch die Scham, die er über seinen Rückfall empfand. Das war unnötig und vor allem dumm gewesen. In Zukunft musste er dringend aufpassen, was er zu sich nahm. Gerade jetzt konnte er sich das einfach nicht erlauben. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Lippen. Kein Tropfen Alkohol! Das war die wichtigste Regel, an die er sich halten musste, seit er aus der Klinik gekommen war. Weder sein Körper noch sein Geist würden so eine Strapaze ein weiteres Mal mitmachen. Ganz zu schweigen von dem Leid, das er Tala dann unweigerlich zufügen würde. Er spürte ein seltsames Ziehen in sich, als wollte etwas aus ihm ausbrechen, und schob es auf die Scham, die noch heiß in ihm brannte.
Schnell vertrieb er diese Gedanken wieder und dachte stattdessen über Tala nach. Und darüber, was heute alles geschehen war.
Tala war von seinen Schützlingen angegriffen und vertrieben worden, hatte sein Dorf verloren und war schwer verletzt worden. So sehr Ricky auch mit ihm litt, er war sich sicher, dass er sich nicht einmal annähernd vorstellen konnte, was das für eine Qual für Tala sein musste.
Ab und zu kam Matoskah herein, um Holz in die kleine Feuerstelle zu werfen. Es war schon dunkel, als er sich neben Ricky kniete und ihn leicht anstupste, um sicherzugehen, dass er wach war.
„Ich bringe Tala in eure Hütte“, sagte er leise.
Ricky richtete sich auf und runzelte die Stirn. Eigentlich wollte er sagen, dass er Tala selbst in das andere Haus bringen würde, doch er war sicher, sich nur vor den Indianern zu blamieren, wenn er halb unter dessen Gewicht zusammenbrach.
Matoskah lachte leise.
„Ich habe mehr Kraft als du. Ich werde nicht riskieren, dass du ihn fallen lässt.“
Erneut hatte Ricky das Gefühl, der alte Schamane würde seine Gedanken lesen.
Er nickte gähnend, stand dann schwerfällig auf und verfolgte aufmerksam, wie Matoskah seinen Liebsten auf die Arme nahm und so geschmeidig aufstand, als würde er lediglich ein Bündel Reisig in den Armen halten. Er trabte hinter Matoskah her ins Freie und folgte ihm zu einer relativ kleinen Hütte, nicht weit vom Schamanenhaus entfernt. Als er die kleine Unterkunft betrat, brannte auch hier ein Feuer. Es war heimelig warm und ein schwerer Duft von Kräutern hing in der Luft, der ihm im ersten Moment das Atmen erschwerte.
„Das Feuer wird dafür sorgen, dass ihr beide gut schlafen könnt“, erklärte Matoskah. Er legte Tala auf dem niedrigen Schlaflager ab und deckte ihn mit den Felldecken zu.
Ricky beobachtete das Ganze. Die Dämpfe machten ihn müder als er ohnehin war. Erst als der Schamane ein weiteres Mal Talas Wunden begutachtet und alles für in Ordnung befunden hatte, ließ er sie alleine. Ricky zog endlich seine Jacke aus und kuschelte sich zu Tala unter die Felldecke. Ganz vorsichtig schmiegte er sich an den starken Körper, strampelte sich die Schuhe ab und schloss die Augen.
Es war keine Frage – hier würde er definitiv gut schlafen können.
Träge spürte er seine Sinne schwinden, während er Talas Herzschlag und den Stimmen von draußen lauschte, und ließ sich vom Schlaf einholen.
Die Tage vergingen fast wie im Fluge. Kaum dass es Tala etwas besser ging, wurden sie voll in das Geschehen im Lager einbezogen. Solange Tala den ein oder anderen Jagdtrupp begleitete oder aus der Ferne sein Dorf bewachte, lernte Ricky wissbegierig alles über das Leben und das Kochen bei den Indianern, das mitunter mühsam und teilweise ziemlich ekelhaft war. Selbst wenn das Häuten und Ausnehmen toter Fische und kleiner Wildtiere sicher nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen werden würde, war er überaus dankbar für diese einprägsame Recherche.
Einen Tag, den Tala auf der Jagd verbrachte, erklärte Matoskah sich bereit, Ricky zu seinem Haus zu begleiten. Es war erstaunlich, wie schnell man auf dem Rücken eines Bären reisen konnte. Er nutzte diese Gelegenheit, um sich bei seiner Agentin zu melden und seine Sachen zusammenzupacken. In dieses Haus würden Tala und er sobald sicher nicht zurückkehren können. Dazu lag es zu nah am Dorf. Ein Wunder, dass die Dorfbewohner es nicht zerstört hatten.
Als sie eine ganze Woche bei den Indianern verbracht hatten, schien sich auch Ashkiis Feindseligkeit ihm gegenüber gelegt zu haben. Zwar hatten sie noch kein einziges Wort miteinander gewechselt, aber wenigstens sah der junge Mann Ricky nicht mehr an, als wolle er ihn umbringen. Das
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