Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
aus und ging mit einem festen Griff um den Trageriemen ihrer Tasche durch den Flur. Nach wie vor bestand das Risiko, dass alles nur ein großer Bluff war. Dass es vielleicht dieser Mann war, der die Mails geschrieben hatte, und dass ihr bald etwas Schreckliches zustoßen würde. Sie hatte schon von solchen Sachen gehört.
Ihr Herz begann zu klopfen, als sie im Wohnzimmer niemanden fand. Sie horchte in den Flur hinaus und wartete auf den Knall, mit dem die Tür in das Schloss fiel. Er kam nicht. Die Tür zu einem weiteren Zimmer stand offen, und sie entdeckte Theres, die mit den Händen auf den Knien auf einem Bett saß.
Alles fiel von ihr ab. Die beängstigenden Menschenmassen, die Sorge, sich zu verfahren oder irgendetwas falsch zu machen. Die Kälte auf den Straßen und die vorübergehende Furcht vor dem Mann in dem karierten Hemd. Weg. Sie hatte das Kreuz auf der Karte erreicht, Theres. Es verwunderte sie nicht im Geringsten, dass Theres nicht aufstand und ihr entgegenkam. Stattdessen betrat Teresa das Zimmer, stellte ihre Tasche an der Tür ab und sagte: »Jetzt bin ich hier.«
»Gut«, sagte Theres und legte die Hand neben sich auf das Bett. »Sitz hier.«
Teresa setzte sich neben sie. In Gedanken hatte sie verschiedene Phrasen durchgespielt, um das Gespräch zu eröffnen, hatte versucht, sich auszumalen, was sie tun oder sagen sollte, wenn ihr Treffen sich auf die eine oder andere Art gestaltete. Ausgerechnet diese Möglichkeit hatte sie nicht in Erwägung gezogen. Dass sie einfach nur nebeneinandersitzen und nichts sagen würden.
Es verging eine Minute oder mehr, und Teresa begann warm zu werden und sich zu entspannen. Nach dem Chaos der Reise war es unheimlich schön, einfach nur still dazusitzen und nichts zu denken. Sie bemerkte, dass der Raum kalt war, geradezu spartanisch. Keine Poster an den Wänden, kein mehr oder weniger ordentlich aufgestellter Krimskrams. Nur ein Bücherregal mit Kinderbüchern, ein CD-Spieler und ein CD-Rack. Ihre eigene Tasche an der Tür sah wie ein Eindringling aus.
»Ich habe ein Gedicht geschrieben«, sagte Teresa. »Im Zug. Willst du es lesen?«
»Ja.«
Teresa zog die Tasche heran. Sie schlug das Notizbuch auf und las sich das Gedicht noch einmal durch. Dann riss sie es heraus und gab Theres die Seite. »Hier. Ich glaube, das ist für dich.«
Theres schaute das Papier lange an. Teresa schielte zu ihr hinüber und sah, dass sich ihre Augen die Zeilen hinunterbewegten, worauf sie wieder zum Anfang hinaufsprangen und von vorn begannen. Und noch einmal begannen. Teresa wurde ungeduldig, und als sie es schließlich nicht mehr aushielt, fragte sie: »Wie findest du es?«
Theres ließ den Zettel sinken. Ohne Teresa anzuschauen, sagte sie: »Es handelt davon, dass Menschen Wölfe sind. Und Vögel. Das finde ich gut. Aber es sind auch hässliche Wörter darin. Darf es in Gedichten hässliche Wörter geben?«
»Ja, das darf es bestimmt. Wenn sie passen.«
Theres las sich das Gedicht noch einmal durch. Dann sagte sie. »Sie passen sehr gut. Als ob man wütend ist. Weil man kein Wolf ist. Oder kein Vogel.« Sie schaute Teresa das erste Mal in die Augen. »Das ist das beste Gedicht, das ich gelesen habe.«
Teresas Wangen erröteten. Es war beinahe nicht auszuhalten, dem Blick eines Menschen zu begegnen, der gerade so etwas gesagt hatte, und ihre Nackenmuskeln riefen ihr zu, dass sie den Kopf zur Seite wenden sollte. Aber die Augen saßen fest und hielten den Kopf zurück. In Theres’ großen, hellblauen Augen zeigte sich keine Spur von Ironie oder eine Erwartung oder irgendein anderes Gefühl, das eine Erwiderung von Teresa verlangte. Das Einzige, was dieser Blick sagte, war: Du hast das beste Gedicht geschrieben, das ich jemals gelesen habe. Dort bist du. Ich sehe dich . Deshalb konnte Teresa die Verbindung aufrechterhalten, und nach ein paar Sekunden fühlte es sich ganz natürlich an.
Theres zeigte auf Teresas Notizbuch und sagte: »Hast du noch mehr geschrieben?«
»Nee. Das war das Einzige.«
»Kannst du mehr schreiben?«
»Ja, vielleicht.«
»Wenn du schreibst, möchte ich es lesen.«
Teresa nickte. Plötzlich wollte sie nicht mehr hier sitzen. Sie wollte nach Hause in ihr Zimmer und Gedichte schreiben, das ganze Notizbuch voll. Anschließend wiederkommen und neben Theres sitzen, während sie ihre Gedichte las. Das wollte sie. So wollte sie es haben.
Jerry zeigte sich im Türrahmen. »Aha, hier sitzt ihr also. Wie läuft’s?« Theres und Teresa nickten synchron,
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