Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Teresas Klasse waren mehr oder wenigernormal. Sie mochte sie nicht. Sie interessierte sich nicht für die kleinen, klebrigen Geheimnisse der anderen Mädchen, sie fand die Jungen mit ihren Kapuzen und Schirmmützen albern, ihre pickeligen Gesichter. Niemand wagte . Sie gingen feige und redeten feige.
Sie konnte sich alle zusammen in einer tiefen Grube vorstellen, aufgestellt wie für ein Klassenfoto, aber an Händen und Füßen gefesselt. Sie selbst stand oben an der Kante neben einem großen Haufen Erde. Dann schaufelte sie eine Schippe nach der anderen in das Loch hinunter. Es dauerte viele Stunden, aber am Ende war es geschafft. Nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hören, und die Erde war keinen Deut ärmer geworden.
Zehn Minuten bevor der Zug in Österyd eintraf, begann Teresa zu lächeln. Sie lächelte breit, sie lächelte leise, sie lächelte irgendwo dazwischen. Trainierte die Muskulatur, während sie für sich eine Rolle entwarf.
Als Göran sie am Bahnhof abholte, hatte sie alles einstudiert. Sie war das einsame Mädchen, das endlich eine gute Freundin gefunden hatte. Sie hatten Filme geschaut und sich die halbe Nacht unterhalten und unheimlich viel Spaß gehabt. Ihr Lächeln und ihr Strahlen saßen, wo sie sitzen sollten, und sogar Göran wurde fröhlicher, als er die veränderte Stimmung seiner Tochter bemerkte. Teresa spürte selbst, wie glaubwürdig sie wirkte, und es war ja auch nicht schwierig, da es auf einer einfachen Ebene der Wahrheit entsprach.
Sobald sie nach Hause gekommen war, startete sie ihren Computer und fand eine Nachricht von Theres in ihrer Mailbox: »hallo komm bald wieder schreib mehr worte zu den liedern.« Vier namenlose MP3-Dateien waren angehängt. Teresa öffnete sie und stellte fest, dass es vier der Lieder waren, die sie am besten gefunden hatte.
Sie machte sich an die Arbeit. Nachdem sie ein paar Stunden lang geschrieben hatte, schaute sie sich den Videoclip mit Theres bei Idol ein paar Mal an, um anschließend weiterzuschreiben. Als sie zu Bett gehen wollte, erinnerte sie sich an die DVD aus Max Hansens Kamera. Sie zog sie aus der Tasche, drehte sie in den Händen und betrachtete sie nachdenklich. Dann steckte sie sie in eine neutrale Box und stellte sie in das CD-Rack.
Die Rolle, die sie für sich entworfen hatte, funktionierte auch in der Schule. Sie antwortete weniger gleichgültig, wenn jemand etwas zu ihr sagte, und zeigte sich insgesamt weniger verbissen. Nicht, dass sich irgendjemand darum scherte, aber die Spannungen ließen ein wenig nach.
Doch, Johannes bemerkte die Veränderung, und als er nachfragte, servierte sie ihm dieselbe Geschichte wie Göran, mit ein bisschen mehr Fleisch an den Knochen. Freundin in Stockholm, jede Menge Spaß, und so weiter. Darüber hinaus entschlüpfte ihr, dass sie Musik miteinander machten. Johannes freute sich für sie.
Im Unterricht lief es allerdings schlechter. Ihre Gedanken waren woanders. Es verging eine ganze Unterrichtsstunde zum Thema Demokraten und Republikaner, und sie verstand nicht ein einziges Wort, außer dass irgendjemand namens Jimmy Carter Erdnüsse angebaut hatte. Vielleicht war er Präsident der USA gewesen. Das war der einzige Lernerfolg einer vierzig Minuten langen Unterrichtseinheit: Jimmy Carter baute Erdnüsse an.
Der folgende Satz war ihr nämlich eingefallen: Flieg dorthin, wo du keine Flügel brauchst . Das war ein spannender Satz, ein guter Satz. Aber unhandlich. Man konnte nichts darauf reimen. Und was sollte er bedeuten? Dass man sich an einen Ort begeben sollte, an dem man nicht mehr zu fliegen brauchte? Ja, etwas in der Art.
Flieg dorthin, wo du fliegst ganz ohne Schwingen . Besser. Reimt sich auf zwingen . Niemand kann dich zwingen . Nein, das war ziemlich hässlich. Nichts soll dich zwingen . Besser. Assonanz und alles.
Der Zettel, dem sie die Überschrift »Demokraten/Republikaner« gegeben hatte, war vollgekritzelt mit einzelnen Wörtern und Sätzen. Während einer Denkpause war die Information über Jimmy Carter und seine Erdnüsse zu ihr durchgedrungen, aber sie hatte es nicht aufgeschrieben. Schließlich hatte sie sich mit dem Wort Ringen beschäftigt. Auf dem Wasser, an den Fingern, um etwas. Und so weiter. Dann war die Stunde vorbei.
Am Samstag nahm sie wieder den Zug nach Stockholm. Jerry hatte sich bereit erklärt, bei Maria anzurufen, um Teresas Interpretation ihrer neuen Rolle mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Er konnte erzählen, dass die Mädchen wirklich viel Spaß
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