Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
vor dem Zaun und betrachteten den Wolf, der sie betrachtete. Sie waren zusammen. Schließlich begann der Wolf das Fell an seinen Tatzen zu lecken und verließ sie.
»Warum bist du traurig?«, fragte Theres.
Erst jetzt bemerkte Teresa, dass ihre Augen feucht waren und Tränen über ihre Wangen kullerten.
»Nicht traurig«, sagte sie. »Froh. Weil ich angekommen bin.«
Gemeinsam breiteten sie die Decken auf dem Gras vor dem Wolfsgehege aus. Bevor Teresa den Wolfspelz aus dem Rucksack zog, warf sie einen Blick zu dem Felsblock hinüber. Der Wolf hatte seinen Posten verlassen, und das war gut so, weil es ihr wie eine Schändung vorkam, als sie das Fell in die Mitte legte. Dass sie nicht würdig war.
Theres und sie setzten sich mit dem Rücken zum Zaun auf die Decken und warteten. In der Mail, mit der sie zu diesem Treffen aufgerufen hatten, war angekündigt worden, dass Teresa, die die Texte geschrieben hatte, ebenfalls kommen würde. Sie fühlte sich nicht wie Teresa, die die Texte geschrieben hatte. Sie war ein einsamer, kleiner Wolf, und ein fremdes Rudel näherte sich ihr.
»Theres?«, fragte sie. »Hast du ihnen alle Lieder vorgespielt?«
»Ja.«
»Hast du ihnen von dir erzählt?«
»Ja.«
»Lennart und Laila und … alles?«
»Ja. Alles.«
Es war, wie sie es schon geahnt hatte, und eigentlich wollte sie nur eine einzige Frage stellen. Sie hatte Angst davor, weil sie Angst vor der Antwort hatte, aber sie stellte sie trotzdem.
»Theres. Was unterscheidet mich von ihnen?«
»Du bist zuerst gekommen. Du hast die Worte geschrieben.«
»Aber sonst sind sie genauso?«
»Ja. Sehr ähnlich.«
Teresa senkte den Kopf. Was hatte sie geglaubt? Dass sie einzigartig war und der einzige Mensch auf der ganzen Welt, mit dem Theres Kontakt haben konnte, der Theres lieben konnte? Ja. Genau das hatte sie geglaubt, bis sie in Theres’ Wohnung gekommen war und das versammelte Rudel gesehen hatte. Jetzt hatte sie endgültig bestätigt bekommen, dass sie ein Idiot gewesen war.
Sehr ähnlich.
Eine erste Gruppe aus sieben Mädchen näherte sich von der Bushaltestelle. Einen Trost gab es wenigstens in Theres’ quälender Aufrichtigkeit: Das Rudel war nicht so fremd, wie sie geglaubt hatte. Sie schaute die sieben Mädchen an und erkannte schon von Weitem etwas in ihren Bewegungen wieder, ihre Art zu gehen, als ob ihre Schritte dem Boden schaden könnten.
Teresa schnürte ihre Stiefel auf, zog die Senkel fester zusammen und sagte: »Sie haben jedenfalls noch niemanden tot gemacht, oder? Irgendeine von ihnen?«
»Nein.«
»Könnten sie das, was glaubst du?«
»Ja. Alle.«
Teresa betrachtete die kleine Gruppe, die mittlerweile den Zaun erreicht hatte, und ihre Augen wurden schmaler. Ein neuer Plan machte seine ersten, wackligen Schritte in ihrem Bewusstsein. Sie winkte und lächelte.
Alle.
Als die Mädchen herankamen, um sie zu begrüßen, fühlte Teresa sich auf eine für sie bisher unbekannte Weise erhaben . Siewurde mit Respekt behandelt, als ob es sich um eine Audienz handelte. Sie konnte nicht anders: Sie genoss es. Noch nie im Leben war sie Gegenstand von so viel positiver Aufmerksamkeit gewesen.
Sie lobten bestimmte Formulierungen oder einzelne Zeilen, einige sagten, dass ihre Texte genau das beschrieben, was sie selbst fühlten, und dass sie sich wünschten, selbst so schreiben zu können. Nach etlichen Kommentaren in dieser Art suchte Teresa Zuflucht in falscher Bescheidenheit und sagte, dass es gar nichts Besonderes sei, dass jeder so etwas … und so weiter.
Obwohl die anderen Mädchen sie also als Autorität betrachteten, sprachen sie trotzdem dieselbe Sprache. Mit Theres war es anders. Sie behandelten sie, als wäre sie aus feinstem Porzellan, sprachen leise und wagten sie nicht zu berühren. Wenn Theres etwas sagte, lauschten sie ihr voll gespannter Konzentration.
Was Theres sagte, war nicht seltsam, und Teresa wusste, dass Theres die Fähigkeit besaß, jeder Person immer genau das Richtige zu sagen, die selbstverständliche Wahrheit, die genau dieser Mensch brauchte, ausgesprochen mit diesem ungreifbaren, bezwingenden Klang in der Stimme, die es zu mehr als einer Wahrheit machte, zu der Wahrheit .
Nachdem sie einander begrüßt und sich eine Weile unterhalten hatten, setzten sich die Mädchen um das Wolfsfell herum und verloren sich in ihren eigenen Gedanken oder gaben einen zurückhaltenden Kommentar ab.
Teresa hatte nicht damit gerechnet, aber als sich alle versammelt hatten und sie sich in der
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