Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
klang. Die musikalische Bildung des Mädchens musste ausgebaut werden, und nachdem er einen tragbaren CD-Spieler angeschafft hatte, begann Lennart ihr klassische Musik vorzuspielen.
Als Erstes spielte er einen seiner eigenen Favoriten: Beethovens Frühlingssonate in F-Dur für Violine und Klavier. Er hatte beschlossen, ganz einfach mit Klavier und Violinsonaten zu beginnen, um dann zu Streichquartetten und schließlich ganzenSinfonien überzugehen, sozusagen ein Instrument nach dem anderen vorzustellen.
Er sollte sich noch lange daran erinnern, wie das Mädchen auf diese Einführung in die Musik aus höheren Sphären reagiert hatte. Sie hatte in ihrem Gitterbettchen gestanden und wie üblich an diesem Tampen mit vier Knoten gesaugt, als Lennart auf die Play-Taste gedrückt hatte.
Während der einleitenden Violinsequenz mit ihrer schönen Melodie und der vorsichtigen Unterstützung durch das Klavier erstarrte das Mädchen. Als die Rollen getauscht wurden und das Klavier sanft wie ein Frühlingsbach die Melodie aufnahm, begann das Mädchen zu schaukeln, während sie mit einem Ausdruck zwischen Entzücken und Entsetzen ins Nichts starrte.
Nach den ersten vierzig Sekunden zog sie die Augenbrauen zusammen, als ahnte sie, dass gleich etwas passieren würde. Als die Violine sich an die hämmernden Töne des Pianos heranarbeitete und diese schließlich mit einem kräftigeren Strich untermalte, schnitt sie eine Grimasse und schüttelte den Kopf, während sie sich an die Gitterstangen klammerte.
Doch auch als das Stück wieder in ruhigeres Fahrwasser kam und die Violine mild und gefügig wurde, lauschte das Mädchen weiter mit misstrauischer Miene, als ahnte sie, dass die härtere Strichart die ganze Zeit über auf der Lauer lag. Dort, wo das Spiel der Violine dann tatsächlich wieder ungestümer wurde und das Klavier sie aus dem Hintergrund heraus vor sich hertrieb, begann sie zu zittern und im Bett hin und her zu schwanken, während sich ihr Gesicht wie unter Schmerzen verzerrte.
Lennart sprang auf und schaltete den CD-Spieler ab.
»Was ist los, Kleine?«
Das Mädchen schaute ihn nicht an, das tat sie niemals. Stattdessen fixierte sie den CD-Spieler mit ihren Blicken, während sie an dem Gitter ihres Bettchens rüttelte. Lennart hatte noch nie erlebt, dass jemand so auf Musik reagierte. Die Saiten, über die der Bogen strich oder auf die ein Hammer schlug,schienen ihre eigenen Nerven zu sein. Die Musik drang direkt in sie ein.
Lennart wechselte zu einer Cellosonate, und der weichere Klang des Instruments regte das Mädchen weniger auf, auch wenn das Tempo schneller wurde. Als sie das kurze Adagio in der A-Dur-Sonate erreichten, stimmte sie zum ersten Mal in die Melodie ein.
Nachdem er ein paar Tage herumexperimentiert hatte, war klar, dass dem Mädchen ausnahmslos die Adagio-Partien am besten gefielen. Allegro-Sätze machten sie unruhig und ein Scherzo konnte sie in die Verzweiflung treiben. Lennart programmierte den CD-Spieler so, dass er nur die Adagio-Sätze spielte. Dann setzte er sich aufs Bett und betrachtete sie, hörte ihr zu, wenn sich ihre Stimme als drittes Instrument in die Sonate legte.
Zuerst war er glücklich. Er hatte das Gefühl, im Herzen und im Ursprung der Musik zu ruhen. Auch wenn er dann die Treppe hinaufging und sich auf einen Schlag wieder in der Sozialbausiedlung der Musik befand. Das war okay. Er befand sich im Gleichgewicht.
Aber nichts währt ewig.
Tage wurden zu Wochen und Beethoven wurde von Schubert und Mozart abgelöst, und Lennart saß in seinem musikalischen Herzensraum und starrte auf seine Finger. Irgendetwas stimmte nicht mit ihnen. Er hob das Mädchen hoch, um ihr Gewicht und ihre Wärme zu spüren, aber es änderte nichts. Er stellte sie zurück in ihr Gitterbett.
Er wusste inzwischen, dass er sie nicht auf dem Fußboden lassen konnte, während die Musik spielte. Das Mädchen ging dann sofort zum CD-Spieler und begann ihn sehr handgreiflich zu untersuchen. Sie schlug mit ihren Fäusten gegen die Lautsprecher oder versuchte den ganzen Apparat hochzuheben, als wollte sie etwas aus ihm herausschütteln.
Zunächst hatte Lennart es so gedeutet, dass sie die Musik doch nicht mochte, aber als er sie ausnahmsweise einmal gewähren ließ, erkannte er, worauf sie aus war. Sie suchte nach der Musik, nach ihrem Ursprung. Sie wollte in die Maschine hinein und das finden, was die Musik machte. Weil er es ihr nicht erklären konnte, kaufte Lennart einen neuen CD-Spieler und achtete
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