Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
Person war als die, für die sie sich im Forum ausgab. Oder es bedeutete alles noch etwas anderes, wie in ihrem eigenen Gedicht.
Eine Sache war jedenfalls nicht misszuverstehen, nämlich die ersten beiden Worte. Sie waren das erste Positive, das jemand über irgendetwas sagte, was sie geschrieben hatte.
Nachdem sie lange genug auf Bims Worte gestarrt hatte, entdeckte sie, dass unter dem Gedicht »Kommentare (2)« stand. Sie scrollte nach unten und stieß auf eine weitere Reaktion, dieses Mal von Caroline, 17 Jahre. Dort stand:
»Vollkommen unbegreifliches Gedicht, das von gar nichts handelt. Besorg dir ein Leben.«
Teresa vergaß zu atmen. Es stach in den Augen, und Tränen brachen hervor. Sie rang mit den Händen. Dann stand sie auf und holte sich ein Frotteehandtuch, mit dem sie sich die Augen so kräftig ausrieb, dass die Augenlider anschwollen. Sie knüllte das Handtuch zusammen und atmete hinein, langsam und tief.
Sie setzte sich wieder an den Rechner, rief Hotmail auf undbesorgte sich eine neue Mail-Adresse, richtete ein neues Konto auf poesi.nu ein. Dieses Mal war sie Sara aus Stockholm, achtzehn Jahre alt. Sie suchte nach Caroline und stellte fest, dass sie eine Reihe von Gedichten geschrieben hatte. Bei den meisten ging es um unglückliche Liebe. Jungen, die sie enttäuscht hatten. Die Kommentare waren sehr positiv. Sara aus Stockholm war anderer Meinung. Sie meinte:
»Ich habe mehrere deiner Gedichte über die unglückliche Liebe gelesen und finde, dass du es offensichtlich gar nicht anders verdient hast. Du bist ein egozentrisches und abstoßendes Mädchen, das niemand jemals lieben kann.«
Alles drehte sich in ihrer Brust, als sie auf Abschicken klickte. Sie legte sich auf ihr Bett und nahm sich eine der Gedichtsammlungen, die sie aus der Bibliothek gestohlen hatte. Sie hieß »Wer nicht spricht ist tot«.
Es machte einen ungeöffneten Eindruck. Niemand hatte es vor ihr gelesen.
Am nächsten Tag machte Teresa Bekanntschaft mit dem Begriff »Troll«. Sie hatte nicht gedacht, dass jemand auf Saras Kommentar reagieren würde. Sie hatte sich geirrt. Caroline schien viele Anhänger auf poesi.nu zu haben, und acht Personen hatten ihren Kommentar kommentiert, einige von ihnen sogar sehr wortreich.
Sämtliche der kürzeren oder längeren Texte liefen darauf hinaus, dass Sara ein schlechter Mensch sei und keine Gefühle habe und schreib es selber doch besser . Und so weiter. In zwei Beiträgen wurde sie als »Troll« bezeichnet, und sie musste davon ausgehen, dass es sich um einen feststehenden Begriff handelte.
Sie machte sich schlau und fand heraus, dass »Troll« vom englischen Wort trolling abgeleitet war, was so viel hieß wie einen Köder durch einen Fischschwarm zu ziehen und zu hoffen, dass einer anbiss. Übersetzt ins Internetforum: gemeine oder dumme Dinge schreiben, nur um eine Reaktion zu provozieren. Dann war man ein Troll.
Teresa verschränkte die Arme vor der Brust und schaute aus dem Fenster. Sie fühlte sich ruhig und heiter. Jede Menge Mädchen hatten gelesen, was sie geschrieben hatte, und sich genötigt gesehen, ihre Meinung dazu abzugeben. Denn sie war ein Troll.
Ich bin ein Troll.
Das passte ihr ausgezeichnet. Sie lebte in der Menschenwelt, obwohl sie in der Wiege vertauscht worden war und eigentlich dem dunklen, wilden Wald gehörte. Ein Troll.
16
Im Winter und im Frühling war sie regelmäßiger Gast in der Bibliothek und las sich systematisch durch das Lyrikregal. Wenn sie zu Hause war, nahm das Trollen einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch. Sie verschaffte sich eine ganze Reihe von Aliassen in verschiedenen Foren. Sie war Jeanette, 14 Jahre, und Linda, 22. In einem Forum zum Thema Anorexie und Bulimie bekam sie als My, 18 Jahre, über fünfunddreißig Antworten auf ihren Beitrag, in dem sie die Meinung vertrat, dass alle Anorektiker zwangsernährt werden und die Klappe mit Klebeband verklebt bekommen sollten, damit sie nicht direkt wegrennen und kotzen konnten.
Zufällig landete sie in einem Forum für Menschen, die gerne alte Häuser renovierten. Sie erschuf den Charakter Johan, 28, der es liebte, derartige Häuser zu beschädigen oder direkt niederzubrennen. Auf einer Seite für Umweltschützer berichtete Thomas, 42 Jahre, darüber, wie sehr er seinen Geländewagen liebte, und plädierte für eine niedrigere Benzinsteuer.
Aber am liebsten tummelte sie sich in Foren wie Lunarstorm , in dem junge Mädchen ihre Probleme diskutierten. Ihr liefen behagliche Schauer den
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