Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
denkt
grütze ist nicht lecker
das gerede irrt
der name bedeutet nicht ich
der mond ist mein vater
Es war auf eine Weise unbegreiflich, die Teresa mochte. Konkret und vage bedrohlich. Ganz nach ihrem Geschmack. Darüber hinaus war es schön, dass jemand in ihrem eigenen Alter so schrieb.
Kraft ihres älteren Alter Egos Josefin schrieb sie einen lobenden Kommentar und sagte, sie hoffe, dass Bim mehr davon schreiben würde. Nachdem sie den Kommentar abgeschickt hatte, fiel ihr ein, dass Bim es genauso gemacht haben könnte wie sie, bloß anders herum. Vielleicht war sie ein sehr viel älteres Mädchen oder sogar ein Junge.
Sie klickte sich durch ein paar andere neu hinzugekommene Gedichte, ohne etwas zu finden, das ihr gefiel. Dann tat sie, was sie nicht zu tun gewagt hatte, solange der Rechner nicht ihr gehörte. Sie öffnete ein leeres Word-Dokument, um einen eigenen Beitrag für poesi.nu zu schreiben. Es sollte keines der alten Gedichte aus dem Notizbuch sein, sondern etwas ganz Neues. Etwas, das jetzt war.
Der Cursor blinkte und forderte sie auf, das erste Wort einzugeben. Ihre Finger ruhten auf der Tastatur. Nichts kam. Sie schrieb »Ich sitze hier« und löschte es sofort wieder. Sie schrieb »das gerede irrt«, starrte eine lange Zeit auf die drei Wörter. Dann löschte sie sie.
Sie legte sich auf ihr Bett und bohrte ihr Gesicht in das Kissen, klappte die Ecken des Kissens über ihre Ohren und drückte zu. Alles wurde dunkel und still, und Muster aus Goldfäden tanzten auf ihren geschlossenen Augenlidern. Die Fäden bogen sich und formten das Wort »alle«. Plötzlich leuchtete ein ganzer Satz auf.
Alle Menschen tragen eigentlich einen anderen Namen.
Sie blieb liegen und atmete schwer, wartete darauf, dass noch mehr kam. Es kam nichts, und mit schweißverklebten Haaren an der Stirn setzte sie sich an den Computer und schrieb: »Alle Menschen tragen eigentlich einen anderen Namen.«
Sie verstand nicht, was es bedeutete, aber es stimmte. Nicht nur im Poesieforum, sondern überall. In jedem Menschen gabes einen anderen Menschen. Sie schrieb diesen Satz auch auf. In einem Anfall von Wagemut fügte sie die drei Wörter von Bim ein und entwickelte sie weiter. Dann rundete sie alles mit einem Schlusssatz ab.
Sie schob den Stuhl zurück und betrachtete, was sie geschrieben hatte.
Alle Menschen tragen eigentlich einen anderen Namen
In jedem Menschen gibt es einen anderen Menschen
Das Gerede irrt und hinter den Worten gibt es andere Worte
Man sieht uns nur im Dunkeln
Man hört uns nur in der Stille
Bevor sie es bereuen konnte, kopierte sie das Gedicht in das »Beitrag eingeben«-Feld auf poesi.nu. Sie wusste nicht, ob das Gedicht gut war, aber es sah wie ein richtiges Gedicht aus, und was darin stand, war die Wahrheit.
Sie saß mit den Fingern auf der Tastatur da, und in ihrem Kopf war es mucksmäuschenstill. Es kam nicht mehr.
Wie macht man das, eigentlich?
Am nächsten Tag ging sie direkt nach der Schule in die Bibliothek. Drei Regalbretter waren mit »Poesie« beschriftet, und in ihnen standen etwa zweihundert Bücher. Sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte. Unter »Neuzugänge« stand ein Buch mit dem Titel Pitbullterrier . Es hatte einen roten Umschlag mit einem schwarzen Monsterhund darauf und war von jemandem namens Kristian Lundberg geschrieben. Teresa zog es aus dem Regal und begann zu lesen. Die ersten Zeilen des ersten Gedichts lauteten:
Gedichte über den
Monat April sind banal
Wir spucken auf solche Gedichte
Solche Gedichte sind so vorhersagbar wie der Tod
Teresa setzte sich in einen Sessel und las weiter. Sie hatte nicht gedacht, dass Gedichte in Büchern so aussehen konnten. Es war zwar vieles dabei, was sie nicht verstand, aber es gab keine schwierigen Wörter, und viele Bilder waren unmittelbar verständlich. Besonders gern mochte sie »Das Todeswasser steigt«.
Nach einer Stunde hatte sie das ganze Buch gelesen und ein bisschen Kopfschmerzen bekommen. Sie schaute ins Regal und fand zwei weitere Gedichtbände von Kristian Lundberg. Sie sah sich um, steckte sie zusammen mit Pitbullterrier in ihre Schultasche und radelte nach Hause.
Als sie sich auf poesi.nu einloggte, sah sie, dass jemand ihr Gedicht kommentiert hatte. Bim.
»schönes gedicht ich bin auch eine andere obwohl man mich nur hört bei geräusch schreib über grütze«
Teresa las die wenigen Worte immer wieder durch. Dieses »ich bin auch eine andere« konnte bedeuten, dass Bim wie sie selbst eine andere
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