Wolfskrieger: Roman (German Edition)
beinahe fallen lassen.
Adisla konnte den unterirdischen Saal nicht überblicken, sie bemerkte nicht die steinernen weißen Speere, die an der Decke hingen, noch die Nischen im Fels, aus denen tote Hexen sie anzustarren schienen. Sie sah nur das schimmernde Gold, das sich bis zur Decke stapelte, gleißend wie ein Freudenfeuer. Wieder und wieder schlug sie den Feuerstein an, bis sie zwischen den Schwertern, den Brünnen, den Pokalen und Tellern, den Edelsteinen und den Münzen, die von Alpträumen geplagte Könige seit zwanzig Generationen als Tribut abgeliefert hatten, etwas weitaus Wertvolleres entdeckte – eine Tranlampe.
Die Mündung des Ganges, aus dem sie gekommen war, lag recht hoch über dem Boden. Wenn sie dort hinuntersprang, gab es kein Zurück. Adisla zog den Kopf ein, drehte sich um, schob zuerst die Beine hindurch und ließ sich in die Schwärze fallen. Bei der Landung schoss ein stechender Schmerz durch ihr Bein. Sie stieß einen Schrei aus, der in der Höhle laut hallte. Offenbar hatte sie sich den Fuß verstaucht – es war das Bein, das vorher der Pfeil getroffen hatte. Als sie eine Hand auf den Knöchel presste, konnte sie bereits die Schwellung spüren. Sei’s drum, sie brauchte Licht. Entschlossen schlug sie noch einmal den Feuerstein an und kroch zu der Lampe, packte sie und schüttelte sie: noch fast voll. Wieder schlug sie den Feuerstein an. Nach fünf oder sechs Versuchen entdeckte sie, was sie brauchte – einen verschlissenen Mantel aus einem kostbaren Stoff, den sie nicht kannte, der aber sicherlich gut brennen würde. Sie riss einige Fäden heraus und schlug den Feuerstein an. Auf diese Weise hatte Adisla daheim schon unzählige Male Feuer gemacht, doch hier fand sie es unglaublich schwierig. Als endlich eine kleine Glut entstand, bluteten ihre Finger, weil sie immer wieder über den Stein geschürft waren. Schließlich brannte die Lampe, und sie betrachtete die Pracht in der Schatzkammer der Hexe.
Die Furcht verließ sie nicht, als die Dunkelheit zurückwich, nur ihr Wesen veränderte sich. Vorher hatte sie den Eindruck gehabt, die Gänge seien voll unsichtbarer Augen und hungriger Münder. Jetzt, da sie wie atemlos in der riesigen Kaverne stand, fürchtete sie sich davor, allein zu sein. Adisla wurde klar, dass sie durchaus in diesen Höhlen sterben konnte, ob hier nun Hexen hausten oder nicht. In gewisser Weise war die Einsamkeit das schlimmste Ungeheuer von allen. Der Schatz war unermesslich wertvoll, aber für sie völlig nutzlos. Sie konnte das Gold weder essen noch trinken. Fast schien es sie zu verspotten.
Die Schmerzen im Fußgelenk wurden stärker. War es nur verrenkt oder sogar gebrochen?
In der Ferne nahm sie etwas wahr, eine Regung wie ein Atemhauch vielleicht, kaum mehr. Sie sagte sich, es sei nur der Wind, doch in den Gängen wehte kein Wind. Sie dachte daran, das Licht zu löschen und sich zu verstecken, andererseits war sie fest entschlossen, sich dem zu stellen, was in diesen Gängen hauste. Da, schon wieder. Was war es nur? Adislas Mund war trocken, beinahe hätte sie doch noch die Lampe ausgepustet.
Sie bekam eine Gänsehaut und zitterte. Die Lampe spuckte jetzt, oder war das nur ihre Einbildung? Angst erfüllte sie. Adisla wollte sich aufraffen, hatte aber den verletzten Knöchel vergessen. Mit einem Schrei sank sie auf die Knie und ließ dabei fast die Lampe fallen. Die Flamme flackerte heftig und wäre um ein Haar erloschen. Adisla nahm sich zusammen, hob die Lampe und sah sich um.
Ein schreckliches Kind stand vor ihr, hager, schmutzig, mit dem Gesicht einer Frau und den Augen einer Ertrunkenen.
Gleich darauf wurde Adisla ganz ruhig. Sie hatte die Erscheinung nicht richtig eingeschätzt. Dies war keine in Höhlen hausende alte Vettel, dies war eine Königin. Die Herrin streckte die Hand aus und gab Adisla mit einem freundlichen Lächeln zu verstehen, dass sie alle Pein und die Sorge um Vali vergessen sollte, auch ihren Wunsch, Feileg zu finden, und sogar den schmerzenden Knöchel. Alles würde gut werden, dachte Adisla. Diese Frau hatte unvorstellbare Qualen erlitten und konnte alles, was Adisla peinigte, einfach wegnehmen und vertreiben. Die Herrin trug ein schönes, mit Gold besticktes Gewand, am Hals schimmerte eine kostbare Kette, auf dem Kopf glänzte eine Krone voller Saphire wie Eis im Sonnenlicht. Vor dieser schönen Frau schien sogar die Dunkelheit zurückzuweichen.
»Ich brauche dich, um meinen Vali zu finden«, sagte Adisla. Die Herrin lächelte,
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