Wolfskrieger: Roman (German Edition)
seinen Verkörperungen zu jagen. Wo blieb da noch Raum für die Liebe? Wo war da noch ein Platz für ihn selbst zwischen den gewaltigen magischen Kräften, deren Spielball er geworden war? Er wollte sie, doch er würde sie töten, wenn sie sich gegen ihn wandte. Wie bei vielen Dingen im Leben hatte er auch hier keine Wahl – der Wolf würde auf Gewalt mit tausendfach verstärkter Gewalt reagieren.
Das Schwert glänzte hell in ihrer Hand, in seiner Kehle entstand ein zorniges Knurren. Noch versuchte er zu sprechen : »Es muss nicht hier enden. Wir können wieder leben, und ich werde nicht ruhen, bis ich dich gefunden habe und deine Liebe spüre, wie ich sie einst gespürt habe.« Die Worte kamen nicht heraus, nur das blutrünstige Knurren des Wolfs war zu hören.
Adisla schloss die Augen und schlug zu, traf aber nicht ihr Ziel. Authun war hinter sie getreten und nahm ihr das Schwert aus der Hand. Er stellte sich vor sie und stieß sie gleichzeitig zurück.
Vali duckte sich zum Sprung. Ein Blick zu Adisla verriet ihm, dass die Wolfskiefer seine Träume zermahlen hatten. Sie hatten sich geöffnet und jeden Grund zu leben zerstört. Er war bis in alle Ewigkeit in einem unsterblichen Körper gefangen und hatte keine andere Gesellschaft als sein unendliches Elend, das viel stärker mit der Todessehnsucht eines verrückten Gottes verknüpft war als mit der Frau, die er so sehr liebte.
Er sah das grausame Schwert in der Hand seines Vaters, spürte den Stich in der Seite, der unablässig blutete, obwohl doch alle anderen Wunden verheilt waren. Die Nornen, so dachte er, woben den Faden für ihn nicht weiter. Es lag bei ihm zu entscheiden, ob sie wieder beginnen sollten.
Er wollte, dass sich alles auflöste, dass alles wieder so war wie früher. Für ihn war Adisla immer noch das Mädchen am Fjord, das mit ihm unter der warmen Sonne im Gras lag. Doch das war jetzt nur noch ein Traum. Er war viel zu weit gegangen und konnte nie mehr in jene Welt zurückkehren.
So richtete er den Blick auf den Krieger. Auch Authun sah ihn an.
Endlich bekam Vali ein Wort heraus: »Tod?«
»Tod«, sagte Authun.
Das Mondschwert blitzte im Lampenschein, in der Dunkelheit schimmerten die Augen und Zähne des Wolfs.
Als es getan war, lag das Schwert auf dem Boden, und der Wolf rührte sich nicht mehr.
Adisla kam und betrachtete schaudernd und benommen die Toten. Die seltsame Frau mit dem verschandelten Gesicht beugte sich über Feileg und streichelte seine Haare. Adisla ging zu ihr und betrachtete ihn. Die blauen Augen waren geöffnet und starrten ins Leere. Wo der Wolf ihm den Bauch aufgerissen hatte, klaffte eine grässliche Wunde. Er war noch nicht kalt, doch er atmete nicht mehr und war gewiss tot.
Sie nahm ihn in die Arme und küsste ihn. Dabei spürte sie wieder die strahlende Rune, die nach dem Frühling geduftet, geschwatzt und geplappert hatte wie ein Regenschauer. Wiedergeburt. Sie versuchte, ihm die Rune zu schicken, damit er wieder heil wurde, doch es brauchte Jahre, um diese Kunst zu lernen, und der Preis war der Wahnsinn.
Die Frau mit dem entstellten Gesicht blickte auf sie herab, und Adisla begriff, was die Augen sagten: »Es gibt einen Weg.«
Die Frau nahm die Lampe und verließ die Höhle. Adisla hob Feileg hoch. Dabei schienen die Runen in ihr zu erstrahlen, und er war überhaupt nicht schwer. Auch fiel es ihr sehr leicht, durch den Zugang wieder nach draußen zu gelangen. Sie folgte dem Licht durch schweigende Gänge nach oben, wo immer sie einen frischen Hauch im Gesicht spürte. Am Ende einer geräumigen Höhle, wo ein heller Schaft die Dunkelheit zerteilte, blieb die Frau stehen und legte Adisla eine Hand auf den Arm. Dann küsste sie Feileg auf die Stirn und streichelte Adislas Wange.
Adisla ging weiter. Sie roch den Wind, den Regen und die Kälte des Meeres.
Das Licht vor ihr wurde stärker. Sie lief, bis sie am Ausgang der Höhle von einem Vorsprung nahe des Gipfels der Trollwand nach unten blicken konnte. Dort erstreckte sich das weite Land und das Meer, wunderschön grün und blau gefärbt.
Sie küsste Feileg und drückte ihn an sich.
»Hoffnung«, sagte sie und trat ins Licht.
Saitada war ihr gefolgt. Irgendwo heulte ein Wolf. Sie verstand, was er sagte: »Ich bin hier. Wo bist du?«
Sie stand eine Weile dort und lauschte. Dann kehrte sie in die Höhlen zurück.
57
Die Geschichten der Wanderer
D rei Tage streiften die Jäger durch den Wald und suchten nach den Wölfen. Sie waren sicher, dass sich
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