Wolfskrieger: Roman (German Edition)
gefährlich, und Authun erkannte bald, dass sie es nicht bis nach oben schaffen würden. Die Frau hatte endlich die Kinder aufgegeben, die jetzt zappelnd und jammernd an den König geschnallt waren. Aufreizend oft überprüfte die Mutter die Riemen.
Authun schauderte immer noch jedes Mal, wenn er ihr Gesicht betrachtete, und doch konnte er sie nicht einfach beseitigen. Noch mehr schauderte er, wenn er an die Prüfung dachte, die ihm bei der Begegnung mit der Hexenkönigin bevorstand.
»Kind, weißt du überhaupt, wohin du gehst?«, fragte er den Jungen.
Der Kleine kletterte einfach weiter.
Unten war es ruhig gewesen, doch hier oben, anstrengende zehn Tage später, nach gewundenen Wegen auf und ab, gefährlichen Kletterpartien und schrecklichen Sprüngen, presste der Wind sie an die Felsen. Authun hatte angenommen, das Sklavenmädchen würde es nicht schaffen. Wenigstens gab es einen Pfad, den man von unten nicht erkennen konnte. Stellenweise war er allerdings so schmal, dass selbst Authun, der ohne Zaudern so viele Male dem Tod ins Antlitz geblickt hatte, eine Enge im Bauch spürte, wenn er sein Leben einer Wurzel oder einem winzigen Vorsprung anvertraute. Er blickte nicht nach unten.
Wenn sie schliefen, banden sie sich mit Seilen und Pflöcken, die der Junge mitgebracht hatte, an der Klippe fest, und umgaben sich mit den Talismanen. Der Führer schien nicht zu schlafen, sondern verbrachte die Nächte damit, ein eigenartiges Lied mit einer gebrochenen Melodie zu singen. Die Sprache konnte Authun nicht verstehen. Die Träume des Königs drehten sich um das, was noch vor ihm lag.
Dann wurde der Überhang schroff und schließlich unbezwingbar. Wie war er früher zu den Hexen gelangt? Daran konnte Authun sich nicht erinnern, nur an die Prophezeiung, an die Gegenwart der Hexenkönigin und an die Dunkelheit.
Als sie in den Wolken kletterten und höchstens noch ein paar Schritte weit sehen konnten, hörte der Pfad schließlich auf. Anscheinend hatte der Junge den Eingang der Höhlen verpasst. Authun wurde vor Furcht der Mund trocken. Er war geschwächt, das Mädchen war noch viel schlimmer dran. Den Abstieg würden sie nicht überleben, selbst wenn der Junge sie noch einmal führte. Er kletterte jetzt zu Authun zurück, anschließend an Saitada vorbei, und dann, im Nebel kaum noch sichtbar, winkte er ihnen. Im Fels war ein Spalt, kaum mehr als ein Riss, höchstens schulterbreit und nicht einmal so hoch wie ein Mann. Mit den Kindern auf dem Rücken konnte Authun nicht hindurch, und selbst ohne sie musste er sich seitlich drehen und sich hineinzwängen. Er spähte in die Finsternis und roch die fruchtbare Erde. Sehen konnte er nichts, doch er musste weitergehen. Er band die Kinder los und übergab sie der Mutter, dann folgte er dem Jungen und schlüpfte hinein. Von draußen drang nur schwaches Licht herein. Einen Arm weit konnte er sehen, vielleicht etwas mehr. Danach erkannte er überhaupt nichts mehr. Die Mutter reichte ihm die jammernden Kinder. Ob es ihr gefiel oder nicht – sie war jetzt völlig von Authun abhängig und musste ihm folgen.
Authun band die Kleinen wieder mit seinen eigenen Riemen fest und beobachtete Saitada, als sie durchkletterte. Inzwischen bewunderte er sie beinahe, denn er hatte viele Männer gekannt, deren Entschlossenheit längst gebrochen wäre. Sie brauchte kein Schmeicheln, keine Ermunterung und kein Drängen. Sie folgte ihm einfach.
Der junge Führer wartete dicht vor ihnen. Er schlang sich ein langes Seil von den Hüften und gab es Authun. Mit einer Geste bedeutete er dem König und Saitada, sich das Seil am Körper festzuknoten. Sie taten es, dann ging es weiter in die Dunkelheit hinein.
Gedanken kamen und schwanden in der Schwärze, während Authun Mühe hatte, sicher aufzutreten und die Kinder zu schützen. Durch diesen Eingang, so überlegte er, ließen die Hexen wohl ihre wenigen Besucher herein. Als Zugang, der jeden Tag benutzt wurde, war er jedenfalls zu unbequem. Was aßen sie? Auf welchem Weg kamen sie heraus, um sich ans Bett eines verblüfften Bauern zu setzen und ihre Magie gegen Kinder einzutauschen? Es musste noch andere Wege hinein und heraus geben, dachte Authun, es sei denn, sie konnten fliegen, wie es die Gerüchte besagten.
Im Dunkeln hörte er den eigenen Atem, den der Kinder und der Frau hinter sich sehr laut, ebenso die schweren, unsicheren Schritte. Er verlor jede Vorstellung, wie viel Zeit verging. Irgendwann hörte er Wasser rinnen. Der Junge nahm seine
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