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Wolfskrieger: Roman (German Edition)

Wolfskrieger: Roman (German Edition)

Titel: Wolfskrieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. D. Lachlan
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wie er sich über einen Wal Gedanken gemacht hätte, der an seinem Ufer strandete, oder über einen günstigen Wind, der seine Langschiffe zu einem Überfall trug.
    Es hätte ihn überrascht, wenn er erfahren hätte, dass ein so weltlicher Grund wie Furcht die Hexen antrieb.
    Die Frauen der Trollwand galten bei den Menschen und Königen, von denen sie Tribut forderten, zwar als Ungeheuer, doch sie unterschieden sich in Wirklichkeit gar nicht so sehr von den verängstigten Bauern, Jarlen und Leibeigenen, die Essen, Trinken und Kinder als Opfergaben zum Berg brachten.
    Ein Fischer beispielsweise, der seinen Jungen verloren hatte, hielt die Hexen gewiss für Ungeheuer. Er konnte nicht sagen, ob er in jener Nacht gewacht oder geträumt hatte, als die Luft in seinem Haus dicht und kalt geworden war und sich wie eine Kompresse auf seine Haut gelegt hatte. Was er aus dem Augenwinkel erspäht hatte, war verschwunden, sobald er den Kopf gedreht hatte. Am Morgen war der Mann aufgewacht und hatte verkündet, die Frauen hätten ihn gerufen. Daraufhin hatten ihn die anderen Fischer zum Berg begleitet. Allen war klar gewesen, dass es keinen anderen Weg gab. Hätte er sich geweigert, dann hätten die Hexen sein ganzes Volk und nicht nur seine Familie heimgesucht.
    Der Mann hatte zitternd zugeschaut, wie sein Sohn sich entfernt hatte und im Nebel verschwunden war. Er hätte sich im Leben nicht vorstellen können, dass die Hexen irgendetwas empfanden, von Angst ganz zu schweigen. Doch die Frauen fürchteten sich.
    Was ist eine Prophezeiung? Ein weit gefasster Begriff, der vieles bedeuten kann. Wenn ein Mensch vorhersieht, dass eine Katze einen Becher umstößt, und darauf gefasst ist, ihn aufzufangen, werden wir ihn kaum einen Propheten nennen. Wir halten niemanden für einen Seher, nur weil er nach einem Blick zu den Wolken erklärt, es werde regnen. Auch im Sommer wissen wir, dass die Winterkälte kommen wird, doch niemand, der dies weiß, behauptet, er besitze magische Kräfte. Diese Vorhersagen gehören zu unseren alltäglichen Erwartungen. Daran ist nichts Verborgenes und Geheimnisvolles, sondern dies ist direkt mit unserer Gegenwart verknüpft.
    In den Spalten und Höhlen der Trollwand, hinter der Tür in der Klippe, die man nicht sehen durfte, solange man nicht eingeladen war, lebte die Hexenkönigin, deren prophetische Kräfte den unseren gar nicht unähnlich waren. Die Grenzen zwischen der Gegenwart und der Zukunft sind nicht so undurchdringlich, wie wir glauben, und die Hexenkönigin hatte geschwitzt, gefroren, gehungert und halluziniert, bis die Grenzen für sie durchlässig geworden waren.
    Prophezeiungen kamen nicht von außen zu ihr und waren auch nichts, was sie erschuf oder preisgab. Sie waren ein Teil ihres Bewusstseins und der Art und Weise, wie sie die Welt sah. Wie eine Sprache, die sie beherrschte. Ein Jahr, bevor die Königin Authun zu seiner Mission ausgesandt hatte, war in dieser Sprache eine zischelnde Drohung zu vernehmen gewesen. Sie war nicht an einem einzigen Tag ausgesprochen worden, sondern es hatte wie ein Verdacht oder ein bloßes Gerücht begonnen – ein Tuscheln, das im Raunen der Bäche kaum vernehmbar war, eine Kälte, die viel zu tief in die Erde vordrang und sie sogar in der Wolfskammer schaudern ließ, wo der Atem eines angeketteten Gottes den Stein erhitzte, dass man ihn kaum berühren konnte.
    Das Gefühl wuchs in ihr heran, während sie im Dunkeln saß, und auch die anderen Schwestern spürten es. Wie die Hexen den Unterschied zwischen heute und morgen überwanden, so lösten sie auch die Grenzen zwischen Ich, Du, Ihr und dem da draußen auf. Ihre Erfahrungen waren wie Besitztümer, die sie ausborgen oder teilen konnten.
    Ein wenig Magie war nötig, um die Vorahnung zu klären. Die Schwestern zündeten eine Kerze aus Waltran an und baten sie um eine Vision. Sie hätten alles und jedes um Anleitung bitten können, doch sie entschieden sich für die Kerze, weil sie aus einem Lebewesen gemacht war und deshalb bessere Verbindungen zur Außenwelt besaß als die Felsen der Höhlen. Zuerst offenbarte die Kerze ihre Vergangenheit, wie sie es bei jedem getan hätte. Fischgeruch erfüllte die Höhle. Die Schwestern spürten jedoch noch mehr. Sie atmeten die Qualen ein, die sich im Fett niedergeschlagen hatten, als der Wal gestrandet, von Jägern entdeckt und getötet worden war. Die Kerze brannte weiter, und die Schwestern stellten fest, dass für ihre Prophezeiung die Art des Lichts von besonderer

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