Wolfskrieger: Roman (German Edition)
gut, und der Rauch erinnerte eher an einen schwelenden Dunghaufen als an ein richtiges Feuer. Disa hatten sie in ihrem Bett ermordet. Überall war Blut, auf dem weißen Kleid breitete sich ein hässlicher roter Latz aus. Aus der Nähe entdeckte er, dass sie ihr die Kehle durchgeschnitten hatten, und konnte sich nur zu gut vorstellen, was sie ihr sonst noch angetan hatten.
Vali kniete neben ihr nieder und nahm ihre Hand. Sie war seine Mutter gewesen oder hatte wenigstens während eines großen Teil seines Lebens diese Rolle übernommen. Er sagte nichts. Immerhin hatte er an diesem Tag gelernt, was es hieß, für eine gerechte Sache zu kämpfen und zu den Waffen zu greifen, auch wenn es einmal nicht um Plünderungen ging. Als er in Disas Augen blickte, schien es ihm unmöglich, jemals wieder etwas anderes zu tun. Er weinte nicht, was ihn selbst überraschte. In ihm war eine Kälte, die keine Tränen zuließ. Eine Gewissheit, die sich wie ein Pfropf in seiner Kehle festsetzte und jedes Gefühl unterdrückte. Er würde sich rächen. Adisla hatte ihn gebeten, hundert Feinde für sie zu töten. Damit würde er sich nicht begnügen. Er würde den dänischen König und sein ganzes stinkendes Volk auslöschen, seine Hallen niederreißen und das Land zu Asche verbrennen. Die Dänen hatten durch ihre Taten einen Wolf von der Leine gelassen. Eine solche Entschlossenheit hatte er noch nie im Leben verspürt. Zuerst aber gab es noch etwas anderes zu erledigen.
Er ging zum Kopfende des Betts und küsste Disa auf die Stirn.
»Ich werde sie finden«, sagte er und verließ das Haus. Als er an dem toten Jungen vorbeikam, zauste er ihm die Haare und küsste auch ihn. Zuerst wollte er sein Sax wieder an sich nehmen, doch dann ließ er es bleiben und drückte die Finger des Jungen fester um das Heft des Schwerts. »Behalte es nur«, sagte er. »Benutze es im Nachleben. Gehe zu Freyas und nicht in Odins Halle.«
Als Vali ein Stöhnen hörte, fuhr er auf. Drengi lebte noch. Er rannte zu dem liegenden Mann hinüber.
»Drengi, ich bin es, Vali.«
Drengi atmete nur noch schwach. Die Axt hatte eine schreckliche Wunde geschlagen, und vor dem Mund blubberten Blutblasen.
Vali war ratlos. Disa oder Jodis hätten vielleicht helfen können, aber die eine war tot, und die andere steckte wer weiß wo.
»Drengi, du wirst überleben. Ich habe schon Männer mit schlimmeren Wunden gesehen, die überlebt haben. Ganz bestimmt.«
Sie wussten beide ganz genau, dass es nicht der Wahrheit entsprach.
»Sie haben sie geholt, Vali. Sie haben sie mitgenommen.«
»Ich weiß.«
»Nein, sie haben sie gesucht. Keine Schätze, keine Plünderung, nur sie.« Er hustete entsetzlich und rang um Atem. Vali war viel zu durcheinander, um wirklich zu verstehen, was Drengi ihm erzählte.
»Das wird schon wieder, Drengi. Ich hole Mutter Jodis, die dich zusammenflicken kann. Du wirst schon sehen, alles wird gut.«
»Vali, sie haben sie gesucht. Sie haben nach der Tochter der Heilerin gefragt.«
Vali konnte sich nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte.
»Wen haben sie gefragt?«
»Sie haben den kleinen Loptr geschnappt. Er hat sie hergeführt und ihnen gezeigt, wo sie suchen mussten. Sie haben ihren Namen gerufen.« Er hustete, das Blut strömte über seine Lippen.
»Ist der Junge auch tot?«
»Nein, er ist weggelaufen. Nimm die Axt weg, Vali. Nimm sie weg. Sie ist mir eine Last.«
»Ja.«
Vali packte den Stiel dicht vor dem Kopf mit beiden Händen. Als er zog, schrie Drengi laut auf. Er zog noch einmal, und die Axt kam heraus. Drengi hustete und spuckte, würgte und keuchte. Dann verstummte er. Vali nahm seine Hand. Er war tot.
Auf einmal bemerkte Vali, dass jemand ihn beobachtete. Loptr spähte um die Ecke eines Schweinestalls.
»Du kannst herauskommen, Junge. Sie sind weg«, beruhigte Vali ihn.
Der Junge rührte sich nicht. Er schien große Angst zu haben.
»Haben sie sie mitgenommen? Haben sie Adisla verschleppt? «
Der Junge nickte.
»Wohin?«
Der Kleine deutete zum Weg, der in südlicher Richtung zu mehreren breiten Stränden führte. Wenn die Dänen so klug gewesen waren, die Schiffe aus dem Hafen zurückzuziehen, konnten sie die Nachzügler dort aufnehmen.
»Lauf zum Hafen«, trug Vali dem Jungen auf. »Wenn du unsere Krieger dort triffst, musst du ihnen berichten, dass ich nach Selstrond hinuntergehe, um die Piraten zu finden. Sie sollen nachkommen und mir helfen. Rasch, geh schon.«
Der Junge rührte sich nicht, sondern starrte ihn nur an.
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