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Wolfskrieger: Roman (German Edition)

Wolfskrieger: Roman (German Edition)

Titel: Wolfskrieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. D. Lachlan
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er fühlte sich friedlich, als wären all seine Enttäuschungen und Befürchtungen alberne Kleinigkeiten, völlig unverständlich angesichts der Ruhe, die ihn erfüllte wie ein schläfriges Kind nach dem Kuss der Mutter.
    Licht. Geräusche, kräftige Schläge und ein Gefühl von Bewegung. Das Gras war kalt. Irgendjemand schlug ihm auf den Hinterkopf. Er wollte sich wehren, doch seine Hände waren gefesselt. Ein Gesicht tauchte vor ihm auf. Jodis.
    »Nichts?«, fragte sie.
    Vali hustete und spuckte, Wasser und Schleim liefen aus Mund und Nase.
    »Nichts.«
    »Brauchst du eine Pause?«
    Vali dachte an Adisla und an das, was sie auf dem Drachenboot der Dänen erlitt. »Keine Pause.« Er bekam die Worte kaum heraus. Seine Kehle war ausgetrocknet und wund, nachdem sie sich im Wasser so verkrampft hatte. Er schauderte am ganzen Körper.
    »Steckt ihn wieder rein«, entschied Jodis.
    Vali verlor jedes Zeitgefühl, die Zeit war formbar wie ein Stück weiches Leder oder wie der Metallbrocken, den ein Schmied erhitzte, beugte und bog und abkühlen ließ. Jeder Herzschlag, den er im Wasser verbrachte, schien ein Jahr zu dauern. Wenn er draußen war, schien die Sonne wie ein in hohem Bogen geworfener Stein aufzusteigen und zu versinken. Er hatte einen starken Willen, doch er musste sich erholen. Zuerst banden sie ihn los. Irgendwann verzichteten sie darauf. Er konnte sagen: »Werft mich wieder ins Wasser«, aber er konnte seinen Körper nicht zwingen, es zuzulassen. Je öfter er unterging, desto mehr wehrte er sich. Anfangs konnte er sich noch beherrschen, bis er die Mitte des Sumpfes erreichte. Nach einem Tag wehrte er sich schon, wenn sie ihn zum Rand führten. Es war ein Ort des Schreckens geworden, und die Visionen kamen und kamen nicht, keine Einsicht und keine Offenbarung, nur das eklige dunkle Wasser, das über ihm zusammenschlug, der innere Druck, wenn ihm die Lungen zu platzen schienen, das Wasser, das in ihn eindrang. Eine gewaltige schwarze Masse zerrte an seinem Gehirn, auf der linken Seite schwerer als rechts. Die Unausgewogenheit löste Kopfschmerzen aus, wie er sie noch nie erlebt hatte. Sein Hals war wund, und er konnte kaum noch sprechen.
    Hier versammelte sich keine Menschenmenge, um die Magie zu beobachten. Die Dänen waren fort, und die Rygir waren daheim, saßen in Gruppen beisammen, trauerten um die Toten, versorgten die Verletzten und sorgten dafür, dass die Türen versperrt blieben und die Kinder sich nicht zu weit entfernten. Adisla war die Einzige, die sie mitgenommen hatten, zehn andere waren gestorben, und noch mehr verwundet. Die Einwohner tranken, doch nicht um zu feiern, sondern um das Elend und die Schmerzen des gewalttätigen Tages zu vergessen. Nur Jodis’ Kinder und Bragi kamen, um Valis Leiden anzuschauen.
    Jodis schickte ihre Tochter nach Suppe, die Vali allerdings nicht schlucken konnte. Seine Kehle verkrampfte sich sofort wieder, also überstand er die Pausen zwischen den Opfergängen schaudernd und frierend. Am ersten Tag schaffte er zwölf Gänge ins Wasser. Am zweiten Tag waren es vier. Am dritten Tag, als der Schlafmangel die Wahrnehmung für das trübte, was er da tat, waren es wieder acht. Gegen Abend schälte sich allmählich etwas heraus.
    Während er im dunklen Wasser ertrank, war er nicht nur unten im Sumpf, sondern auch an einer anderen Stelle, wo es ähnlich kalt, jedoch nicht nass und dunkel war. An diesem Wendepunkt, an der Grenze zwischen Panik und der Ruhe des Ertrinkens, befand er sich in einem engen Raum, vielleicht in einem Tunnel mit Wänden, von denen ein sanftes, fremdartiges Glühen auszugehen schien. Er war sicher, dass noch andere dort waren, auch wenn er sie nicht erkennen konnte. Die Gegenwart der Wesen spürte er wie einen Ton, wie eine Stimmung oder als flüchtige Gedanken. So etwas hatte er noch nie erlebt. Es war ein Bewusstsein, das ihm wie ein Fluss vorkam – immer in Bewegung und doch immer gleich –, und wie ein Fluss hatte es Unterströmungen, die den Unvorsichtigen hinabziehen konnten.
    Als sie ihn aus dem Wasser holten, sah er nicht mehr Orri und Hogni, sondern den fremden Rothaarigen im Mantel mit den Falkenfedern. Der Mann zerrte ihn in die kalte, klare Luft hinauf und sprach mit der Stimme, die Vali schon einmal vernommen hatte.
    »Du musst dich ganz und gar hingeben.« Dann verschwand er, und Vali hielt es nicht mehr aus. Er wusste, was nötig war. Man kann nicht durch die Pforte des Todes gehen und gleichzeitig auf das Leben zurückblicken. Er

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