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Wolfslegende

Wolfslegende

Titel: Wolfslegende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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forsch und mit wohlklingender Stimme. »Auf mich machte es ganz und gar den Eindruck, als wärt Ihr fertig, als hättet Ihr etwas entdeckt .«
    Dakaris schnitt eine Grimasse. Er konnte Gortyn leiden, auch wenn sein vorheriger barscher Ton dies nicht unbedingt hätte erahnen lassen.
    »Ich sagte auch nicht, daß ich noch gar nichts entdeckt habe - aber ich bin noch nicht fertig.«
    »Dann werdet Ihr es auch vor Eurer Rückkehr nicht mehr.«
    Der Augure schaute so tief in Gortyns Augen, wie er sonst nur in dampfenden Eingeweide und zerteilte Organe blickte, und fragte: »Meiner Rückkehr? Rückkehr von wo?«
    Der Jüngling mit dem gelockten schwarzen Haar lächelte.
    »Ich wurde geschickt, um Euch zu Minos zu bringen. Er will Euch sehen. Und vor allem will er, daß Ihr es Euch anseht.«
    »Wir sollten unsere Aufgaben tauschen«, grollte Dakaris. »Wie Ihr daherredet, wärt Ihr das talentiertere Orakel von uns beiden!«
    Gortyn lächelte, als wäre er derselben Überzeugung.
    Dakaris hob das besudelte Messer auf und wischte die Klinge schneller als Gortyn ausweichen oder abwehren konnte an dessen Gewand ab.
    Minos' Bote führte einen Veitstanz auf und schüttete Beschimpfungen über dem Auguren aus.
    Zufrieden schob Dakaris das Messer in seinen Gürtel. Dann schritt er auf den Ausgang zu.
    »Halt! Wartet! So könnt Ihr nicht -«
    Dakaris drehte sich um. »So kann ich was nicht?«
    »Ihr wißt doch überhaupt nicht, wohin Ihr gehen sollt!«
    »Nicht in den Palast?«
    Gortyn gewann seine Fassung zurück. Fast triumphierend schüttelte er den Kopf.
    »Wo anders sollte ich den König treffen?«
    »Das werdet Ihr schon noch früh genug erfahren. Ich habe Euch ein gesatteltes Pferd mitgebracht. Vor Sonnenuntergang sollten wir den Treffpunkt erreicht haben.«
    Dakaris trat vor die Tür und spähte mißmutig über die Dächer der Stadt, wo der glutrote Sonnenball vom Horizont in zwei Hälften geschnitten worden war, die eine bereits unsichtbar.
    »Sie geht bereits unter!«
    »Dann«, erwiderte Gortyn mit einem Ernst, der nur neuerlicher Bosheit entspringen konnte, »sollten wir uns lieber beeilen ...!«
    *
    Gortyn galoppierte in halsbrecherischem Tempo auf den Zypressenhain zu, der auf der Anhöhe über der Stadt wuchs. Unter diesem Hügel lag das Labyrinth, in das Minos das Monstrum, halb Mann, halb Stier, verbannt hatte, das seine Frau ihm geboren und das sie, ihren eigenen Worten zufolge, mit einem dem Meer entstiegenen Stier gezeugt hatte.
    Mit wem auch immer sie tatsächlich gebuhlt und dem König Hörner wie die eines Stieres aufgesetzt hatte, es war der Anfang gewesen. Der Beginn einer nicht mehr enden wollenden Serie schrecklicher Geschehnisse und Unglücksfälle .
    Dakaris unternahm nicht einmal den Versuch, Gortyn einholen zu wollen. Mit riesigem Vorsprung erreichte dieser eine kleine Gruppe von Reitern, die am Rand des Wäldchens Rast eingelegt hatte.
    Einer der Rastenden war so vermummt, daß er sofort Dakaris' Aufmerksamkeit auf sich zog, und der Verdacht, daß es sich dabei um Minos handelte, bestätigte sich, als Dakaris seinen Hengst vor ihm zügelte und die Stimme des Königs unter der Kapuze hervordrang: »Du bist spät, aber Gortyn hat dich entschuldigt. Du bist gerade bei der Zerlegung des Stiers gewesen. Was hast du aus ihm gelesen, Augure? Gute oder schlechte Omen? Gortyn meinte .«
    Dakaris schielte schon die ganze Zeit zu dem Jüngling, der bereits aus dem Sattel gestiegen war und in unterwürfiger Pose wie die restliche Gefolgschaft des Königs dastand. Und offenbar bemerkte nur Dakaris das spöttische Lächeln um die Lippen des Boten.
    Minos räusperte sich. Plötzlich war die Anspannung fühlbar, die ihn quälte. »... Gortyn meinte, du seist richtig erschrocken gewesen, als er dich aufsuchte. Sind die Aussichten so schlecht? Steht uns so Übles bevor? Gibt es immer noch keinen Silberstreif der Hoffnung am Horizont?«
    Dakaris zögerte nur einen einzigen Moment. »Nein, noch nicht, fürchte ich.«
    »Was veranlaßt dich zu dieser Prognose?«
    »Der Stier hatte kein Herz im Leib.«
    Ein Raunen ging durch die Männer. Nur der König und Gortyn waren daran nicht beteiligt. Nur sie brachten die Beherrschung auf, ihr Entsetzen nicht zu zeigen.
    »Kein - Herz? Aber der Stier lebte noch und war unversehrt, als er dir gebracht wurde, oder?«
    »Ich habe ihn selbst getötet, wie es eines Auguren Pflicht ist. Man half mir nur, ihn auf den Teilungstisch zu heben. Danach öffnete ich seinen Leib ohne fremde

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