Wolfslegende
der neuen Beute zu und hebelte die verriegelte Haustür aus ihren Angeln. Die Schuß -wunde blutete, behinderte das Wesen aber kaum in seinem Tun und Wüten.
Als es in den dämmrigen Hausflur tauchte und auf die Treppe zu-hetzte, hörte es im Stockwerk darüber eine panikverfärbte Stimme.
Der Schütze von eben telefonierte.
Bis die zuschnappenden Kiefer ihm das Fleisch aus der Hüfte rissen, hielt er den Hörer fest ans Ohr, die Muschel dicht an den Mund gepreßt. Am anderen Ende der Leitung hörte ein Polizist, wie der Mann schrie, als sich die Pranke in seinem schütteren Haar verfing und ihm den Kopf weit nach hinten bog, so daß die Haut am Hals sich spannte.
»Nein- bitte ...!«
Gnade war dem Monster fremd. Seine wulstigen Lippen stülpten sich über die Kehle des Opfers. Die Augen des Mannes trübten sich, und kaum war er verstorben, verlor das Monster jegliches Interesse an dem erlegten Menschenwild.
Der Tod machte Fleisch und Blut ranzig. Ungenießbar.
Es floh vom Ort der Greueltat, hetzte von einem Haus ins nächste. Und übernächste.
Eine Spur von Blut und Leid markierte seinen Weg. Es schien unersättlich. Rausch, nicht Hunger zwang es zu seinem Tun und Handeln. Halb wahnsinnig und nicht Herr über die in ihm erwachten, von fremder Magie geschürten Triebe lief es Amok.
Es . Sie .
Nona hielt abrupt inne, als ihr eine Gestalt den Weg verstellte; eine Gestalt, die nicht in ihr sonstiges Beuteschema paßte.
»Genug!« seufzte das Geschöpf in der bunt bestickten Tracht eines reichen Juden. Das Geschöpf, das sie in jeder Kleidung erkannt -und respektiert hätte. Und dessen bloßer Anblick die animalischen Attribute, in die ihr Körper sich verstiegen hatte, augenblicklich ausradierte.
Als wäre sie damit auch ihres stützenden Skeletts beraubt worden, knickte Nona erschöpft ein und sank auf die Knie. »Gabriel ...«
»So sieht man sich wieder«, sagte der Jüngling in amüsierten Ton -einem Ton, der der Situation hohnsprach. »Ich freue mich, denn nun ist der Tag gekommen, da du deine Bestimmung erfährst. Deine und die eines jeden deiner Rasse.«
Wie betäubt blieb Nona am Boden knien. Streiflichtartig durchzuckten die Gesichter derer ihre Erinnerung, die sie seit dem Morgengrauen getötet hatte. Mit Caleb hatte es begonnen und mit einem Namenlosen - zumindest vorläufig - geendet .
Sie hob die blutüberströmten Hände vor das Gesicht und starrte darauf. Wenig später bohrte sich ihr Blick am Teufel vorbei in den Himmel.
»Wen hoffst du dort zu finden? Den Mond?«
»Aber er ist . noch nicht voll«, keuchte Nona. »Ich .«
»Du wunderst dich, weil du geglaubt hast, dich genau zu kennen -verläßlich zu wissen, wann deine >Tage< beginnen. Und ebenso sicher, wann sie wieder endet, deine Periode der Mordlust ...?«
»Ja!«
»Und wie war es, einmal außerhalb der gewöhnlichen Nächte aus dir herauszugehen?«
»Willst du darauf wirklich eine Antwort?«
Der Teufel in Menschengestalt lächelte abgründig. »Nein. Wir haben Wichtigeres zu bereden.«
»Wir?«
Gabriel nickte. Gelassen stand er inmitten einer schmalen Gasse, irgendwo in Jerusalem, und störte sich nicht am Heulen der Polizeisirenen, die darauf schließen ließen, daß das ein oder andere von Nonas Opfern inzwischen entdeckt worden war.
Gabriel hatte nie widernatürlicher gewirkt. In seiner Nähe schwand Nonas Einschätzung, selbst ein Monster zu sein. Ein schlimmeres Ungeheuer als ihn konnte es nicht geben. Nirgendwo auf der Welt.
»Wie viele hast du getötet?« rutschte es ihr heraus.
Zu ihrem Erstaunen ging er darauf ein, auch wenn er nicht erschöpfend antwortete. »Heute? Dreihundertfünfzig«, sagte er.
Nona keuchte abermals. Ihre Abscheu vor Gabriel wuchs noch weiter an, obwohl sie das nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Als sie schwieg, fragte er: »Interessiert es dich gar nicht mehr?«
»Was?«
»Das, wonach du dich bei mir schon zweimal erkundigt hast: der Ursprung der Werwölfe, die Wurzeln deiner Art .«
Ihr schwindelte. »Du willst mich nur quälen - und verhöhnen!«
»Gequält habe ich dich lange genug - seit du geboren wurdest. Nun aber ist die Zeit gekommen, da ich dich belohnen werde.«
»Belohnen?« Mißtrauen flackerte neben tausend anderen Vorbehalten in ihren goldfarbenen Augen. »Wofür?«
»Dafür, daß es dich gibt - ich könnte mir keine geeignetere Heerführerin vorstellen.«
»Heerführerin? Von welchem Heer redest du?«
»Von dem, das unterwegs hierher ist, unterwegs nach
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