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Wolfslegende

Wolfslegende

Titel: Wolfslegende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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wollte, vergaß er, als sein Blick plötzlich eine Stelle streifte, an der der schmucklose Lendenschurz, den der Kadaver trug, von den Attacken der Klingen zerfetzt worden war.
    »Bei Zeus!« Er stieß einen der Soldaten, die ihm den Blick behinderten, grob aus dem Weg. Der Mann grunzte verärgert. Aber Daka-ris war bereits dort, wohin es ihn gezogen hatte, und riß den Schurz auseinander, so daß das Hybridwesen nun völlig nackt vor ihm lag.
    Der folgende Schrei stammte von keinem anderen als Minos selbst, der wie ein Schatten neben den Auguren drängte und wie vom Donner gerührt stammelte: »Das ist er nicht! Das . kann nicht der Bastard sein, den die Hure Pasiphae gebar! Das hier .«
    Auch wenn Minos in diesem Moment nicht mächtig war, auszusprechen, was ihn bewegte, so sahen doch alle Umstehenden genau, was ihn in aus dem Gleichgewicht geworfen hatte.
    Eine Frau, dachte Dakaris, kaum weniger erschüttert als der König. Unter dem Rock ist das Stiermonstrum beschaffen wie eine Frau ...
    *
    Mehr Öllichter als sonst erhellten den Zeremonienraum des Auguren.
    Der Tisch, auf dem der sezierte »normale« Stier gelegen hatte, war abgeräumt und ebenso sorgfältig von einer Dienerschar gesäubert worden wie der Boden. Ein wenig von dem Gestank hing jedoch immer noch in der Luft und machte Sotiris Dakaris darauf aufmerksam, daß der Kadaver, der nun langgestreckt auf dem Tisch lag, überhaupt nicht roch.
    So wenig, wie er irgendein Symptom üblicher Verwesung zeigte.
    Wie lange mag er dort gelegen haben, wo wir ihn fanden?
    Vielleicht würden sie es nie erfahren. König Minos hatte Befehl gegeben, Dakaris den grotesken Leichnam zumindest eine Zeitlang zu überlassen, damit er noch einmal versuchen konnte, ihm Antworten über das Woher und Warum zu entlocken.
    Während Dakaris also seinen Nachtschlaf ausfallen ließ, durchkämmten Soldaten das Labyrinth auf der Suche nach den Überresten des echten Minotaurus, die - vom Haupt abgesehen - nie ihren Weg an die Oberfläche gefunden hatten. Unmittelbar nach Theseus siegreicher Rückkehr hatte Minos das Labyrinth versiegeln, den Eingang zuschütten lassen. Gewaltige Massen von Sand und Steinen ruhten auch jetzt noch davor. Die Männer, die der König - vielleicht um zwei Jahre zu spät - losgeschickt hatte, waren durch das Loch hinabgestiegen, das durch den Erdstoß der vorigen Nacht entstanden zu sein schien.
    Ein zweiter, kleinerer Trupp war zu der Stelle unterwegs, an der damals der abgeschlagene Kopf des Ungetüms in Minos' Beisein begraben worden war. Der Schädel sollte ausgegraben werden, um zu beweisen, daß dieses neue Wesen nicht identisch mit Pasiphaes Bastard sein konnte.
    An die beiden anderen Unternehmungen dieser Nacht verschwendete Dakaris aber kaum einen Gedanken. Er konzentrierte sich völlig auf das Unbegreifliche, mit dem er sich auseinanderzusetzen hatte.
    »Ach, wenn du noch erzählen könntest«, murmelte er. »Deine Geschichte muß atemberaubend sein! Gebar Pasiphae am Ende zwei Stierkinder, die ihr Gemahl vom Antlitz der Welt bannen ließ? Aber warum tat er dann so verblüfft? Nein, das war nicht gespielt, der Schock kam aus dem Innersten. Er sah dich nie zuvor .«
    Fasziniert strich seine Hand über die Haut des Kadavers. Nur Kopf und Hals waren von Fell überzogen. Der Rest war glatte, alabasterbleiche Haut, das Fleisch so warm wie Dakaris' Haut, nicht kalt wie sonst bei Toten üblich.
    Den kurz aufflackernden, wirren Verdacht, gar nichts Totes, sondern lediglich etwas auf geheime Weise Schlafendes vor sich zu haben, hatte der Augure rasch widerlegt. Er besaß ein Hörrohr, wie es Ärzte zum Abhören von Herz, Lunge und Gedärmen benutzten. Damit und mit einem Spiegel, den er vor die Nüstern der Stierfratze gehalten hatte, hatte er jeden Zweifel am Tod des Monstrums ausgeschlossen.
    Aber warum traten dann keine Totenstarre und kein Zerfall ein?
    Das wollen sie von dir erfahren, du Narr, also fang endlich an! Rück ihm zu Leibe!
    Das hatte er fest vor, und zwar mit einem ganzen Arsenal von Werkzeugen und Waffen, die er neben dem Untersuchungstisch auf einem zweiten, etwas kleineren aufgereiht hatte.
    Als erstes untersuchte er die Halspartie genauer, als es draußen in der Nacht möglich gewesen war. Doch auch hier, unter besten Bedingungen, fand er keinerlei Hinweis, daß irgend jemand das Haupt entfernt und später wieder kunstvoll angenäht hatte - aus welchen Gründen auch immer. Beide, Kopf und Rumpf, waren nie voneinander getrennt

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