Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
Kenzô krächzend zwischen zwei Lachanfällen.
»Du bist ja wohl der Erbärmlichere von uns beiden!«, feixte Tikia empört.
Kenzô verstummte und blickte Tikia feindselig an. »Ach ja?«, erwiderte er mit drohender Stimme.
Tikia lächelte ihn kalt an und imitierte ihn dann verächtlich: »Mutter! Mutter! Diese Furie hat mich angefallen!« Spöttisch sah Tikia Kenzô an, auf dessen Gesicht sich tiefe Zornesfurchen gebildet hatten. »Mutter! Mutter!«, fuhr sie in unbeirrbar höhnischem Ton fort. »Sieh doch, ein Wolf! Erschieß ihn, Mutter, schnell! Sonst frisst er mich noch auf!«, ahmte sie ihn nach.
Kenzô war kurz davor, auf sie loszugehen. Was erlaubte sich dieses Mädchen? »Dass du keine Angst vor Wölfen hast und dass ein räudiger Wolf sogar dein bester Freund ist, beweist doch nur, was für einen verdorbenen Charakter du hast!«, tobte er wütend.
Von dem Lärm aufgescheucht, kam Koon eiligst die Treppen herab, trat behutsam an Tikias Seite und sah fragend zu ihr auf.
Tikia lächelte Kenzô nach wie vor feindselig an. »Wenn du glaubst, du könntest mich verletzen …«, dachte sie hämisch. Kalt hielt sie seinem wütenden Blick stand und schaute ihn provozierend an.
Plötzlich lächelte Kenzô mit derselben Kälte zurück. »Glaubst wohl wirklich, dir könnte niemand was anhaben?«, sagte er mit bebender Stimme.
Tikia nickte kurz zur Antwort.
»Weißt du, Kleines, anfangs habe ich mich darüber gewundert, dass dich deine Eltern hierhergeschickt haben …«, säuselte er und blickte sie herausfordernd an.
Tikia erstarrte. Undeutlich hörte sie wieder das Jaulen der Wölfe in jener Nacht, in der ihre Eltern starben.
»Aber jetzt, da ich dich etwas besser kennengelernt habe, wundert es mich überhaupt nicht mehr!«, rief Kenzô laut aus und sah sie triumphierend an, da ihm die Veränderung in Tikias Gesicht aufgefallen war. Er hatte ohne Zweifel einen wunden Punkt berührt. »Na warte, du kleines Biest! Dich krieg ich schon noch klein!« , dachte er hämisch.
Tikia sah Kenzô an und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Das Jaulen wurde deutlicher, und schmerzerfüllt schloss sie die Augen. Eine einsame Träne lief ihre Wange hinab und fiel zu Boden.
»Sie wollten dich wohl nicht mehr! Niemand will dich! Noch nicht einmal Shila!!!«
Erschrocken blickte Tikia zu ihm hoch.
»Ganz recht!«, antwortete er auf ihre stumme Frage. »Sie tut das alles doch nur aus Mitleid! Schließlich haben dich deine Eltern ja alleine hierhergeschickt!«
Höhnisch sah er auf das kleine Häufchen Elend hinab, das vor Kurzem noch eine stolze junge Frau war.
»Koon …«, flüsterte Tikia mit tränenerstickter Stimme.
Koon leckte ihr sanft über ihren Handrücken.
Ermutigt schaute Tikia zu Kenzô hoch. »Fass, Koon!«, schrie sie wütend auf und zeigte mit ihrem Zeigefinger auf Kenzô.
Koon, der die innere Verletzung seiner Gefährtin deutlich gespürt hatte, folgte dem Befehl nur zu gerne. Zähnefletschend trat Koon näher an Kenzô heran, der ängstlich vor ihm zurückwich.
»Ruf ihn zurück …!«, wimmerte er und sah Tikia flehend an.
Die jedoch lief weinend an ihm vorbei die Treppen hoch, und mit einem dumpfen Knall flog die Zimmertür hinter ihr zu.
Koon blickte seiner Gefährtin mitfühlend nach und wandte sich dann wieder mit gesträubtem Nackenhaar Kenzô zu.
»Komm schon, Koon. Sei nett …«, flötete Kenzô mit zitternder Stimme.
Ein tiefes Knurren drang aus der Kehle des Wolfes, seine Ohren waren fest an seinen Kopf angelegt, und sein Körper bebte vor innerer Anspannung.
Zähnefletschend setzte er zum Sprung an, warf Kenzô zu Boden und richtete sich drohend über dem Jungen auf.
Mit aschfahlem Gesicht und vor Angst weit aufgerissenen Augen starrte Kenzô den Wolf an, der nun nichts mehr mit dem zahmen Tier vom Vortag gemein hatte. Unfähig, einen Laut von sich zu geben oder sich zu bewegen, blickte er geradewegs in die blutunterlaufenen, zu Schlitzen verengten Augen des mächtigen Wolfs. Warmer Speichel troff von den gefletschten Zähnen auf seine rechte Wange und vermischte sich mit dem Angstschweiß, der sich auf seinem Gesicht und seinem Körper gebildet hatte.
Koon stemmte seine Vorderpfoten fester auf die Brust des jungen Mannes, und ein grollendes Knurren entsprang seiner Kehle. Seine Schnauze senkte er tief zu Kenzôs Gesicht hinab. So tief, dass Kenzô den heißen Atem des Wolfes auf seinem Gesicht spüren konnte. Die stechenden Augen des Wolfes starrten ihn drohend an, und
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