Wolfslied Roman
Wolf, der früher einmal Marlenes Pekinese gewesen war, setzte sich neben mich und sah mich mit zurückgelegtem Kopf an, während ich mich zu orientieren versuchte. Sie und Hudson, der frühere Labrador, wichen mir nicht mehr von der Seite. Die anderen wölfischen Hunde rannten weiter vorn, blieben aber in Hörweite. Wir bildeten kein richtiges Rudel, und ich war auch nicht die Anführerin. Aber die Hunde spürten, dass ich das Alphatier sein könnte, nachdem sie mich in der Praxis erlebt hatten. Ich war mir zwar nicht sicher, wie lange das noch gutgehen würde, aber um ihre Gesellschaft war ich froh.
Jeglichen Gedanken an Malachy und das, was ich ihm angetan hatte, versuchte ich zu verdrängen. Noch weniger wollte ich daran denken, was er wohl tun würde, wenn er wieder zu sich kam und ich es noch nicht geschafft hatte, verschwunden zu sein.
Ich wischte mir das Gesicht an meinem Arm ab und wünschte mir, eine Flasche mit Wasser mitgenommen zu haben. »Du kannst wohl auch nicht erschnüffeln, wo wir uns befinden - oder, Baby?«
Baby winselte, während ich mich langsam mehrmals im Kreis drehte und versuchte, hinter die blitzschnell wachsenden Bäume und die wuchernden Rankengewächse zu blicken, die die Straßenschilder, Häuser und Läden vor meinem Blick verbargen. Wenn das so weiterging, würde ich mich schon bei Sonnenuntergang in einem riesigen Wald wiederfinden.
Auf einmal war in einiger Entfernung ein heiseres Husten oder auch ein Fauchen zu hören, gefolgt von dem panischen Schrei einer alten Frau.
Berglöwen.
Na großartig. Ich wusste, dass es keine Möglichkeit gab, sich vor einer Raubkatze zu verstecken. Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu bluffen. Ich warf den Kopf zurück und heulte so laut ich nur konnte. Nach einer Weile stimmten Baby, Hudson und die anderen Hunde mit ein.
Bonbon und der frühere Schäferhund tauchten im hohen Gras auf; die anderen Tiere zeigten sich nicht. Vielleicht hatten der Dackel und der Mops die Verwandlung nicht überlebt? Oder hatten sie sich allein davongestohlen? Oder waren sie zu Katzenfutter geworden?
Wir heulten noch eine Weile. Dann spitzte Baby die Ohren und stellte eines dabei höher als das andere. Ich streichelte ihr über den Kopf. Selbst war ich nicht Wolf genug, um die Signale deuten zu können. Aber die Hunde gaben mir zu verstehen, dass der Berglöwe fort war. Wie mir Red beigebracht hatte, gingen die meisten Tiere Konfrontationen, wenn es möglich war, aus dem Weg.
Er hatte mir auch erklärt, dass viele Menschen Angst davor hatten, von Kojoten angegriffen zu werden. Doch meist war diese Angst völlig unbegründet. Da kleine Verletzungen ohne medizinische Versorgung rasch lebensbedrohlich werden konnten, wussten Raubtiere, dass man seine Auseinandersetzungen sorgfältig wählen musste. Sie suchten sich die Schwachen als Beute. Wenn diese Schwachen jedoch eine Gruppe Kameraden um sich geschart hatten, wurden sie in Ruhe lassen. Jedenfalls meistens.
Das Gleiche galt für die Kämpfe um die Vorherrschaft.
Anführer waren Politiker, selbst wenn sie auf vier Pfoten herumliefen. Keiner, der auch nur einen Tropfen Politikerblut in sich trug, wäre jemals auf die Idee gekommen, seinen Gegner frontal anzugreifen, ehe er nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte - wie zum Beispiel aggressives Fauchen, zusammengekniffene Augen, finstere Blicke, gefletschte Zähne oder ganz allgemein eine dominierende Körpersprache.
Mit etwas Glück, hatte Red mit einem Lächeln erklärt, fand man schnell heraus, wer der Stärkere ist, ohne sich gegenseitig in Fetzen zu reißen - und das möglicherweise nicht zu überleben.
Ach, Red … ich hätte seinen Rat jetzt gut gebrauchen können. Erneut zog ich mein Handy heraus und wählte seine Nummer. Aber wie ich bereits befürchtet hatte, noch immer gab es kein Funksignal. Ich berührte die kleine Narbe in meiner Ellbogenbeuge, die jedoch weder brannte noch kribbelte. Am besten gar nicht dran denken, was das heißen könnte, sagte ich mir. Hatte der Zwischenfall mit Malachy beziehungsweise Knox unsere Verbindung unterbrochen? Oder war Red verletzt worden - oder war ihm vielleicht sogar noch Schlimmeres zugestoßen?
Er ist nicht tot , sagte meine Intuition.
Also gut. Ich kontrollierte, ob ich noch alle Waffen hatte, und pfiff dann die Hunde zu mir.
»Los, Bande«, sagte ich. »Gehen wir.«
Wenn ich eine begeisterte Reaktion erwartet hätte, wäre ich enttäuscht worden. Mein bunt gemischtes Rudel aus
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