Wolfslied Roman
ständig den Kopf an den Deckenbalken anstieß. Trotzdem setzte er seinen Cowboyhut nicht ab.
Nachdem ich mir eine Jogginghose und ein Flanellhemd übergezogen hatte, gab ich ihm seine Jacke zurück. Angekleidet und mit einer Brille auf der Nase hatte ich die Verwandlung in meine Wolfsgestalt wieder so weit unter Kontrolle, dass ich sprechen konnte.
»Danke«, sagte ich, wobei es mir noch etwas schwerfiel, das Wort in meinem Mund zu bilden. Ich fuhr mit der Zunge über meine Eckzähne, die noch etwas weit hervorstanden.
»Hab nur meine Arbeit gemacht, Madam.«
Er tippte sich mit zwei Fingern an die Krempe seines Huts und schien mich ein wenig belustigt anzufunkeln, soweit ich das beurteilen konnte. Als er auf seine spezielle Weise zur Tür schritt - er schien immer leichte Schlagseite zu haben -, kam mir der Gedanke, dass mich der Sheriff von Northside ziemlich stark an John Wayne erinnerte, und zwar von dem ungewöhnlich knappen Rhythmus seiner Sprache bis hin zu dem schwankenden Gang.
Doch erst nachdem er den Schnee von der Windschutzund der Heckscheibe seines Streifenwagens gekratzt hatte und davongefahren war, wurde mir bewusst, was das eigentlich Seltsame an diesem Sheriff war: Er hatte überhaupt nicht auf meine Pheromone oder vielmehr meine Läufigkeit reagiert, die die anderen Männer so außer Rand und Band gebracht hatte.
Was bedeuten musste, dass Emmet entweder schwul oder noch etwas ganz anderes war.
17
Nach einer Stunde gab ich auf: Ich konnte einfach nicht einschlafen. Mein Körper war unglaublich erschöpft und zugleich ruhelos, während in meinem Kopf Hunderte von Fragen auftauchten.
Ich hatte mit geschlossenen Augen dagelegen und mir geschlagene vierzig Minuten über frei herumlaufende Manitus Sorgen gemacht, so wie ich mich früher in solchen Momenten vor einer Nuklearkatastrophe im Kernkraftwerk Indian Point gefürchtet hatte. Als ich versuchte, an etwas anderes zu denken, fiel mir ein, wie knapp ich einer Vergewaltigung entgangen war, und dann quälte ich mich mit der Vorstellung herum, wie kurz ich davor gestanden hatte, einen Menschen zu töten. Von da an war es nur noch ein kleiner Sprung zu der Frage, ob ich meine Hormone noch unter Kontrolle hatte, was mich wiederum dazu brachte, mir über meine Beziehung zu Red Gedanken zu machen.
Zu diesem Zeitpunkt hätte ich alles dafür gegeben, mich einfach wieder in einen Wolf verwandeln und jegliches Sinnieren sein lassen zu können. Doch was auch immer mir der gute Sheriff gegeben haben mochte, es hinderte mich jedenfalls daran, wieder zum Tier zu werden. Es hatte auch mein heftiges Verlangen reduziert, wenn es auch
noch nicht ganz verschwunden sein mochte. Das brachte mich auf den Gedanken, etwas zu tun, was meine Nerven beruhigte und mich für den Moment meine Sorgen vergessen ließ. Wenn Red hier durch die Tür kommt, dachte ich, reiße ich ihm auf der Stelle die Kleider vom Leib. Alles andere kann warten.
Doch leider kam kein Red. Also schlug ich seufzend die Bettdecke zurück und tastete nach meiner Brille. Es gab Zeiten, da fehlte mir ein Fernseher. Man konnte ein ziemlich modernes Leben inzwischen auch ohne Strom führen; Red zufolge waren die meisten Menschen in Irland, Wales und in Teilen von England bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Elektrizität ausgekommen. Aber man konnte nicht fernsehen, und momentan hätte ich nichts dringender gebraucht als seichte Unterhaltung.
Stattdessen nahm ich die Biografie von Jane Goodall zur Hand, die ich gerade las, konnte mich aber nicht darauf konzentrieren. Nach einer Weile warf ich das dicke Buch aufs Bett und tigerte nervös und unruhig von einem Zimmer ins andere.
Wo steckte Red? Was tat er in einer so kalten Freitagnacht im Januar? Rocky, der Waschbär, fehlte ebenfalls noch immer, was mich allerdings nicht weiter überraschte. In dieser Hinsicht befürchtete ich das Schlimmste.
Obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, durchsuchte ich Rockys frühere Verstecke. Ich suchte zwischen der frischen, zusammengelegten Bettwäsche im Kleiderschrank, im Küchenschrank mit dem guten Geschirr und unter Reds Seite des Bettes. Doch Rocky war nirgendwo zu entdecken, und ich konnte ihn auch nicht riechen. Vielleicht ist er einfach in den Wald abgehauen, dachte ich, und kommt nie
mehr zurück. Vielleicht hatte er ja auch Glück gehabt und einen älteren Waschbären gefunden, der ihm die Dinge beibringen konnte, die er noch nicht wusste.
Oder vielleicht hatte ihn Red erwischt und als nächtlichen
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