Wolfslied Roman
Snack verspeist. Was mich wieder zu der Frage zurückbrachte, wo Red eigentlich stecken mochte.
Ladyhawke saß auf dem Kleiderschrank und beobachtete mich aus ihrem goldenen Auge. Zum ersten Mal, seitdem wir uns kannten, versuchte sie nicht, an meinen Haaren zu reißen, sobald ich in ihre Nähe kam. Als ich zu ihr hinaufsah, legte sie auf beinahe zutrauliche Weise den Kopf zur Seite.
»Möchtest du, dass ich dich streichle?«
Ich hatte Red schon oft beobachtet, wie er den Vogel gestreichelt hatte, war bisher aber zu ängstlich gewesen, es selbst einmal zu versuchen. Doch plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich einfach nur ohne Furcht oder ein Zögern auf Ladyhawke zugehen musste. Zudem brauchte ich nach meinen jüngsten Missgeschicken dringend ein wenig Zuneigung. Na ja, eigentlich hätte ich es vor allem gebraucht, in den Arm genommen und gestreichelt zu werden, bis sich meine Nerven wieder beruhigt hatten. Doch selbst eine sanfte Berührung würde in diesem Augenblick vermutlich bereits etwas Tröstliches haben.
Ich streckte also den Arm aus, um dem einäugigen Falken über die Brust zu streichen. Dabei murmelte ich leise vor mich hin: »Was bist du doch für ein schöner Vogel!« Sofort hackte er mit dem Schnabel nach meinem Finger. Wir stießen beide einen lauten Schrei aus. Federn wirbelten durch die Luft, als ich Ladyhawke einen wütenden Schlag versetzte.
»Jetzt reicht es«, fauchte ich. »Los, raus! Raus!« Ich öffnete die Haustür, und eine Ladung Schnee wurde hereingeweht. »Los! Verschwinde von hier!«
Aufgebracht hielt ich die Tür auf, aber Ladyhawke schüttelte nur empört ihr Gefieder und hockte sich dann wieder auf den Schrank. Daraufhin holte ich einen Besen und versuchte sie damit zu verjagen, was allerdings auch nichts nützte. Sie kreischte nur zornig auf und ließ sich an einer anderen Stelle nieder.
»Also gut«, brummte ich und warf dem aufgeplusterten Vogel einen finsteren Blick zu, den dieser ebenso finster erwiderte. Ich schloss die Tür erneut, um nicht noch mehr Schnee ins Haus zu lassen. »Aber wenn du auch nur in meine Nähe kommst, drehe ich dir den Kragen um. Verstanden?«
Ladyhawke stieß einen schrillen Schrei aus, was mich zu einem nicht sonderlich freundlichen Gedanken hinsichtlich meines abwesenden Liebhabers inspirierte: Wenn er schon zu einem Raubtier mutieren und eines unserer Haustiere umbringen musste, weshalb hatte er dann nicht wenigstens die Nervensäge gewählt?
Noch immer leise vor mich hin fluchend, ließ ich mir kaltes Wasser über den schmerzenden Finger laufen und wickelte ihn in ein feuchtes Tuch ein. Zum Glück war die Haut nicht verletzt worden.
Ich warf mich aufs Bett. Auf einmal musste ich an Lilliana denken. Was war wohl mit ihr geschehen, nachdem sie mich nicht mehr gefunden hatte? Vermutlich war sie nach Manhattan zurückgekehrt und wünschte sich jetzt, nie mit in meine Probleme hineingezogen worden zu sein. Kurz überlegte ich mir, ob ich sie anrufen sollte, doch dann fiel
mir ein, dass mein Handy noch immer in meiner Handtasche steckte, die ich wiederum gemeinsam mit meinen neuen Klamotten das letzte Mal in der Stretchlimousine gesehen hatte.
Wahrscheinlich würden wir einiges zu besprechen haben, wenn wir uns das nächste Mal wiedersahen.
Ich betrachtete die Bücher auf dem Nachttisch. Schon lange hatte ich mir angewöhnt, drei Bücher parallel zu lesen, so dass ich diesmal außer der Biografie auch noch George Eliots Middlemarch und einen erotischen Thriller las, in dem nicht nur die russische Mafia, sondern auch viele lächerlich schlecht begründete Bondage-Szenen vorkamen.
Ich nahm den Krimi zur Hand. Die verängstigte Heldin war gerade von einem ziemlich launischen Kerl an einen Holzbalken gefesselt worden, da er fälschlicherweise annahm, dass sie für die Bösen arbeitete. Ungeduldig blätterte ich ein paar Seiten zurück und vergrub mich unter der Decke. Ich las, wie der Held der Geschichte die Heldin in ein Schlafzimmer mit einer versteckten Kamera zieht. Ich glitt mit der Hand unter den Bund meiner Jogginghose und versuchte mich auf diese Weise etwas zu entspannen. Doch auch das funktionierte nicht. Ich wollte mich nicht selbst berühren - ich wollte berührt werden. Ich sehnte mich nicht nach meinen eigenen Fingern, sondern ich wollte meinen Körper den Händen eines anderen überlassen.
Vielleicht klappte es ja besser, wenn ich die Hose auszog. Schwitzend entledigte ich mich also dieses Kleidungsstücks, schaffte es aber
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