Wolfslied Roman
… schlimm.«
Es war schon lange her, seit ich mich das letzte Mal um Hunter gekümmert hatte. Ich holte eine große Schere und schnitt seine Lederjacke auf. Er sagte nichts, sondern schloss nur die Augen, als würde es ihn zu sehr anstrengen,
sie offen zu halten. Seine Haut war leichenblass. Ich schaltete in meinen Medizinermodus um und versuchte nicht daran zu denken, welche Verletzung wohl unter dem Ärmel auf mich wartete.
Früher einmal war es fast eine Gewohnheit für mich gewesen, mich um Hunter zu kümmern. Im College hatte er unter Pfeifferschem Drüsenfieber gelitten und sich geweigert, im Krankenhaus zu bleiben. Einen Grund nannte er jedoch nicht. Also sprang ich in die Bresche, da seine Mutter tot war und es zu Hause sonst niemanden gab, der ihn versorgt hätte. Jahre später war er dann mit einer Mischung aus Malaria und Parasiten aus Afrika zurückgekehrt, und auch damals war ich wieder zur Stelle gewesen.
Ich hatte ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Intensität geliebt, die mich mitleiden ließ, wenn es ihm schlechtging. Außerdem erlebte ich seine allmähliche Genesung als einen kleinen Triumph, vor allem während er noch schwach war und sich hingebungsvoll dankbar zeigte.
Die Probleme begannen erst, als es ihm wieder besser ging und er mich kaum mehr eines Blickes würdigte.
Ich schaffte es, einen Teil des Ärmels aufzuschneiden, ehe ich die Schere beiseitelegen musste. Dank des Beifuß-Getränks des Sheriffs sah ich zwar menschlich aus und fühlte mich auch so, aber meine Hände zitterten dennoch ein wenig, und ich besaß nicht die volle Kontrolle über meine Bewegungen. Als ich weiterschnitt, zuckte Hunter mit schmerzverzerrter Miene zusammen.
»Tut mir leid, wenn ich dir wehtue.«
»Lügnerin.«
Unsere Blicke trafen sich, und trotz der Schmerzen und der Anspannung - oder vielleicht auch gerade deshalb -
brachen wir beide in Gelächter aus. Es war das erste Mal seit über einem Jahr, dass wir uns verstanden, und dieser Moment allein rief so manche Erinnerung in mir wach. Doch er verging, und Hunter schloss wieder die Augen. Seine Brust hob und senkte sich, als er flach und schnell zu atmen begann.
»Okay. Ziehen wir erst mal deine Jacke aus, ehe du ganz verblutest.«
Ich biss die Zähne zusammen und schnitt das Leder so gut ich konnte weiter auf. Hunter schwieg. Als ich den Ärmel schließlich in zwei Teile getrennt hatte und die Jacke von seinem Arm zerren konnte, sackte er noch mehr in sich zusammen. Ich gab mir die größte Mühe, die Wunde nicht zu berühren, als ich auch noch den Ärmel seines Hemdes aufschnitt. Dann legte ich die Schere beiseite, zog den Stoff fort und betrachtete den Arm.
»Wie schlimm ist es, Abra?«
»Na ja, verbluten wirst du nicht gleich. Aber schön sieht es auch nicht aus.«
Das Blut floss nicht mehr stark, was ein gutes Zeichen war. Doch auf Hunters Unterarm zeigten sich Bisswunden, von denen zwei tief genug gingen, um den weißen Knochen unter der Haut zu entblößen. Muss bei einer Art Verteidigung passiert sein, dachte ich. Es waren Wunden, die man bekam, wenn man den Arm hochriss, um das Gesicht zu schützen. Was immer Hunter angegriffen haben mochte, es hatte auch den unteren Teil seines Arms zerschmettert, wo man die Spitze der Elle herausstehen sah. Ohne eine Röntgenaufnahme konnte ich nicht sagen, ob es sich um einen glatten oder um einen Splitterbruch handelte. Aber ich befürchtete, dass es mehr als nur eine einfache Fraktur war.
Hunter kämpfte sich hoch und stützte sich auf seinem intakten Ellenbogen ab. »Ist er gebrochen?«
»Ja«, erwiderte ich, ohne zu erwähnen, dass es wahrscheinlich ein komplizierter, offener und gesplitterter Bruch war. »Jetzt leg dich aber erstmal wieder hin, während ich überlege, was wir tun können.«
Viel gab es nicht, was ich machen konnte. Zum Glück blutete Hunter nicht allzu stark. Ich konnte ihm nur Eis auf die Wunden legen und den Arm schienen. Doch vermutlich musste er operiert werden, um die Knochen wieder in die richtige Position zu bringen.
»Was ist passiert? War es ein Manitu?«
Hunter sah mich verwirrt an.
»Ein Bärenmann«, fügte ich erklärend hinzu. »Oder vielleicht auch eine andere Kombination aus Mensch und Tier. Es sieht ganz so aus, als ob wir hier neue Interessenten für unser übernatürliches Biotop hätten.«
Hunter stöhnte, als ich die Wunde mit Speichel reinigte. »Ja, ein Bär. Er war auf dem Grundstück.«
»Und er hat dich ohne Vorwarnung angegriffen?«, wollte ich
Weitere Kostenlose Bücher