Wolfsmagie (German Edition)
ausgerechnet ihm gegenüber! – insistiert hatte, dass es im Loch Ness kein Ungeheuer gab. Doch sobald sie den unwiderlegbaren Gegenbeweis bekommen hatte, hatte sie nicht nur ihr Vorhaben geändert, sondern war außerdem Nessies – und damit Liams – Faszination erlegen.
Wie sie das Kinn trotzig vorgereckt und die Lippen zusammengepresst hatte, um den Schmerz zu verbergen, während in ihren Augen die Erinnerung an Liebe und Verlust und Verrat gestanden hatte. Erinnerungen, die auch die seinen waren. Dass ihm ein solches Vertrauen entgegengebracht wurde, hatte Liam das Gefühl gegeben, wirklich ein Mensch zu sein.
Er hatte sich schon zuvor für todunglücklich gehalten, doch jetzt stand ihm auch noch die schmerzvolle Erfahrung bevor zu lieben, ohne die geringste Aussicht darauf, wiedergeliebt zu werden. Wer könnte eine Kreatur wie ihn schon lieben? An seinen Händen klebte Blut, das sich niemals würde abwaschen lassen, ganz egal, wie oft er im Loch Ness schwamm.
Selbst wenn Kris seine Liebe durch irgendein Wunder erwidern sollte, war ihr Verlust unvermeidbar, denn sie würde sterben und er nicht.
Zu schade, dass die Hexe, die ihn verflucht hatte, nicht mehr lebte, um sich an seiner Qual zu weiden. Wie würde sie es genießen.
Liam wanderte weiter, doch weder der See noch die Bäume oder der strahlend helle Mond schenkten ihm einen Moment des Friedens, darum kehrte er zu Kris’ Haus zurück.
Als er ankam, waren die Fenster dunkel; sie schlief bestimmt. Er blickte nach Osten. Nur noch wenige Stunden bis zur Dämmerung.
Plötzlich hielt ein Auto am Straßenrand. Kris’ Bruder stieg aus und hämmerte, dabei laut ihren Namen rufend, gegen die Vordertür. Er rüttelte am Knauf. Die Tür gab nicht nach.
Bis er sie eintrat.
Liam rannte über die Straße, den Fußweg hinauf und ins Haus. Er wusste, noch ehe Marty auf ihren geöffneten Laptop starrte und »Scheiße!« rief, dass Kris nicht da war.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»Hier ist eine E-Mail von dieser Jamaica. Kris soll sich mit ihr im Café treffen.« Marty stürmte zur Tür.
Liam hielt ihn auf, indem er ihm die Hand an die Brust legte. »Was ist daran so schlimm?«
»Jamaica Blue liegt in einer Klinik in Inverness.«
Liam gefror das Blut, das schon seit jener verfluchten Vollmondnacht eiskalt war, in den Adern. »Wieso?«
»Jemand hat sie zusammengeschlagen und sie in dem Glauben, sie sei tot, liegen lassen. Die Ärzte können kaum fassen, dass sie noch lebt.«
Liam kannte den Grund. Jamaica verfügte über magische Kräfte. Sie hatte geschworen, sie nie wieder einzusetzen, doch in ausweglosen Situationen wurden Schwüre gebrochen, wurde Blut vergossen, wurden Opfer gebracht.
»Von wem?« Liams innerer Aufruhr strafte die Sanftheit seiner Stimme Lügen.
»Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier. Ich würde ihm in den Arsch treten, bis er das Bett im Zimmer neben ihrem beziehen könnte.«
»Warum bist du eigentlich hier?«, fragte Liam. Es war nicht logisch, dass die Attacke auf Jamaica Marty veranlassen sollte, nach seiner Schwester zu sehen.
Martys Miene war verzweifelt. »Weil das Letzte, was Jamaica sagte, bevor sie das Bewusstsein verlor, ›Rettet Kris‹ war.«
Kris erwachte mit scheußlichen Kopfschmerzen. Wenn sie noch ein einziges Mal eins auf den Schädel bekäme, wäre ein Hirnschaden vorprogrammiert.
Nur dass sie nicht geschlagen worden war. Dieses Mal nicht. Dieses Mal hatte man sie unter Drogen gesetzt.
Was ja so viel besser war.
Ihr war kalt. Sie befand sich nicht länger im Café, sondern in der Nähe des Sees; sie konnte das Wasser riechen … und Kiefern.
Sie schlug die Augen auf. Es war noch immer stockfinster. Also konnte sie nicht lange ohnmächtig gewesen sein. Es sei denn, sie hätte einen ganzen Tag und den Großteil der darauffolgenden Nacht in Bewusstlosigkeit verbracht. Aber das glaubte sie nicht.
Sie lag auf der Erde. Ihre Hände waren gefesselt, ihre Füße jedoch nicht, darum setzte sie sich auf und wünschte sich augenblicklich, es nicht getan zu haben. Nicht nur, weil ihre Kopfschmerzen davon schlimmer wurden, sondern auch, weil sie entdecken musste, dass sie nicht allein war.
»Wie fühlst du dich?«, erkundigte sich Dougal Scott.
»Bist du vollkommen irre?«
Zorn loderte in seinen Augen, und Kris hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Es stand außer Frage, dass er vollkommen irre war. Er war ein verfluchter Serienmörder. Ihn darauf hinzuweisen, während sie ihm hilflos und
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