Wolfsmagie (German Edition)
hatte. Er würde wollen, dass das Seeungeheuer entlastet wurde. Sollte er Letzteres sein …
Kris fluchte unterdrückt. Sie sollte das keltische Kreuz, das sie unter ihrer Kleidung verbarg, herausziehen und Alan Macs Haut einem kleinen Test unterziehen. Falls er zu schmoren anfinge, würde das vermutlich auf einen Gestaltwandler hinweisen, und dann …
Hm, sie war sich nicht ganz sicher. Sollte der Polizeichef sich in eine von vielen Nessies verwandeln, wäre es ihm dann recht, dass Kris Bescheid wüsste, oder eher nicht? War ein Gestaltwandler-Test wirklich ihre beste Option, angesichts der vielen Zuschauer als auch der Tatsache, dass der potenzielle Gestaltwandler eine Schusswaffe bei sich trug?
Als Alan Mac eine Hand hob, um sich am Arm zu kratzen, und zwar genau an der Stelle, wo das Tattoo sein musste, sagte Kris hastig: »Ja. Genau so war es. Ich ging spazieren, dabei bemerkte ich etwas am Ufer, das ich für Strandgut hielt, kam hier runter und …« Sie spreizte die Hände. »Den Rest kennen Sie.«
»Mmm«, brummte Alan Mac. Er glaubte ihr nicht. Kein Wunder, sie glaubte sich ja selbst nicht. »Haben Sie die Leiche angefasst?«
Kris schüttelte den Kopf. Dieses Mal nicht. Dieses Mal hatte sie gewusst, wie ein toter Mensch aussieht.
Alan Mac spähte über den Loch Ness. »Ich kannte das Mädchen nicht«, sagte er leise. »Sie ist nicht von hier. Wegen ihrer Kleidung und ihrer Frisur würde ich auf eine Amerikanerin tippen. Was bedeutet …« Er seufzte.
»Dass bald die Kacke am Dampfen sein wird«, schloss Kris. Wenn Amerikaner im Ausland starben, rasteten die Amerikaner aus. Kris schätzte das an Amerika.
»Ja«, sagte Alan Mac. »Jetzt können wir es nicht länger für uns behalten. Ich frage mich wirklich, wer unser Dorf so sehr hasst.«
»Meinen Sie Drumnadrochit oder Nessie?«, hakte Kris nach.
»Ist das nicht ein und dasselbe?«
Eine interessante Bemerkung. Wollte er damit ausdrücken, dass der Tourismus und damit auch Drumnadrochit sterben würde, sollte der Nachweis erbracht werden, dass Nessie wirklich ein Monster war? Oder bezog er sich auf die Tätowierungen? Falls jeder in Drumnadrochit eine hatte und jeder, der eine hatte, eine Nessie war, dann waren das Dorf und das Ungeheuer tatsächlich ein und dasselbe.
Kris begann flimmernde weiße Lichter am Rand ihres Blickfelds zu sehen. Vor Erschöpfung? Oder drohte ihr Hirn zu explodieren?
Sie kniff fest die Augen zusammen, und als sie sie wieder öffnete, waren die Lichter schwächer geworden, aber nicht ganz verschwunden. Sie beschloss, sie zu ignorieren. »Sie glauben, dass der Mörder nicht von hier ist?«
»Das würde ich gern glauben«, antwortete der Polizeichef. »Und ja, warum scheißen, wo man isst?«
»Wie bitte?«
»Warum töten, wo man lebt? Gibt es da nicht eine Art Regel?«
»Im Handbuch für Serienmörder?«
»Sie haben recht.« Alan Macs mächtige Schultern sackten nach unten. »Serienmörder mögen keine Regeln.«
»Außer ihren eigenen. So pervers sie auch sein mögen.«
»Das ist dann also Ihre Aussage? Sie sind zufällig über eine weitere Leiche gestolpert und haben nichts angefasst?«
»Das ist meine Aussage, und bei der bleibe ich«, bestätigte Kris.
Er seufzte wieder. »Sie können gehen.«
Kris hatte es nicht weit bis zum Cottage, doch so, wie sie die Steigung hochtaumelte und im Zickzack über die Straße schwankte, überraschte es sie dennoch, dass niemand sich erbot, sie heimzubringen. Wegen ihres torkelnden Gangs, ihres bestimmt gespenstisch bleichen Gesichts, der flappenden Decke, die sie als Cape trug, der Tüte mit dem Make-up und dem Essen, die sie noch immer umklammerte, könnte jeder, der Kris sah, sie für die Dorfbekloppte halten. Und im Moment fühlte sie sich auch so.
Kris erreichte das Cottage, öffnete die Tür und warf die Tüte auf die Couch. Sie hatte keinen Hunger. Dafür fror sie und war müde.
Sie blieb unter dem heißen Strahl der Dusche stehen, bis das Wasser kalt wurde, dann streifte sie sich ihre Flanellpyjamahose, ein Sweatshirt sowie dicke Socken über und schlüpfte ins Bett. Als sie aufwachte, war es dunkel; jemand klopfte an die Tür.
Benommen knipste Kris das Licht an, dann schlurfte sie nach nebenan. Ohne nachzudenken, öffnete sie die Tür, und Liam stürmte herein.
»Geht es dir gut, mo gradh ?« Er schloss sie in die Arme, und Kris, die noch immer nach Wärme hungerte, ließ ihn gewähren. »Ich habe gehört, was passiert ist. Ich wäre schon früher gekommen, aber
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