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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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ein junger Mann, der einen Stand auf Rädern von einer
Straßenseite auf die andere zog, sie zum Anhalten zwang. Eine wuchtige Faust knallte gegen das
Fenster auf der Fahrerseite. Flight kurbelte das Fenster herunter, und ein Kopf erschien, der
außergewöhnlich rosa, rund und völlig unbehaart war.
»Was soll denn der Scheiß?« Die Worte erstarben ihm im Mund. »Ach, Sie sind's, Mister Flight. Hab
das Auto nicht erkannt.«
»Hallo, Arnold«, sagte Flight ruhig, den Blick auf den Stand gerichtet, der schwerfällig
weiterrollte. »Wie läuft's denn so?«
Der Mann lachte nervös. »Bin absolut sauber, Mister Flight.«
Erst jetzt geruhte Flight, den Mann anzusehen. »Das ist gut«, sagte er.
Rebus hatte diese drei Wörter noch nie so bedrohlich klingen hören. Die Straße vor ihnen war
jetzt frei. »Sieh zu, dass es so bleibt«, sagte Flight und fuhr weiter.
Rebus starrte ihn an und wartete auf eine Erklärung.
»Sexualstraftäter«, sagte Flight. »In zwei Fällen. Kinder. Die Psychiater meinen, er sei jetzt
okay, aber ich weiß nicht. Bei so etwas ist selbst eine hundertprozentige Sicherheit nicht genug.
Er arbeitet seit ein paar Wochen auf dem Markt, hilft beim Auf- und Abladen. Manchmal krieg ich
ganz brauchbare Informationen von ihm. Sie wissen ja, wie das ist.«
Rebus konnte es sich gut vorstellen. Flight hatte diesen riesigen, stark aussehenden Mann völlig
in der Hand. Wenn Flight den Markthändlern erzählte, was er über Arnold wusste, wäre Arnold nicht
nur seinen Job los, sondern bekäme auch noch eine ganz schöne Abreibung verpasst. Vielleicht war
der Mann ja jetzt tatsächlich in Ordnung, vielleicht war er - im Psychologenjargon - »ein voll
integriertes Mitglied der Gesellschaft«. Er hatte für seine Straftaten bezahlt, und nun versuchte
er, ein anständiges Leben zu führen. Und was passierte? Polizisten, Männer wie Flight und wie
auch Rebus selbst (wenn er ganz ehrlich war) benutzten seine Vergangenheit gegen ihn, um ihn zu
einem Informanten zu machen.
»Ich hab ein paar Dutzend Spitzel«, fuhr Flight fort.
»Nicht alle so wie Arnold. Einige machen's wegen dem Geld, andere weil sie einfach die Klappe
nicht halten können. Wenn sie jemandem wie mir erzählen, was sie wissen, kommen sie sich wichtig
vor, meinen, sie wüssten Bescheid. In einer Stadt von dieser Größe wäre man ohne ein gut
funktionierendes Netz von Spitzeln verloren.«
Rebus nickte bloß, doch Flight kam jetzt so richtig in Fahrt.
»In mancher Hinsicht ist London viel zu groß, um es zu begreifen. Aber in anderer Hinsicht ist es
ganz klein. Jeder kennt jeden. Natürlich gibt es den Teil nördlich und den Teil südlich vom
Fluss, die sind wie zwei verschiedene Länder. Doch so wie die Stadt in kleinere Bezirke zerfällt,
mit den unterschiedlichen Loyalitäten, den immer gleichen Gesichtern, komm ich mir manchmal vor
wie ein Dorf-Bobby auf dem Fahrrad.« Da Flight ihn ansah, nickte Rebus wieder. Im Stillen dachte
er: Immer dasselbe alte Lied, London ist größer, besser, rauer, härter und wichtiger als alle
anderen Städte. Er war dieser Einstellung schon häufiger begegnet, zum Beispiel, wenn er mit
Männern von Scotland Yard an Kursen teilnahm, und auch andere Leute, die in London lebten, hatten
Ähnliches erzählt. Flight war ihm zunächst nicht als einer von der Sorte erschienen, aber im
Grunde waren sie alle so. Auch Rebus hatte zuweilen die Probleme übertrieben, mit denen die
Polizei in Edinburgh zu tun hatte, um vor irgendwem als härter oder wichtiger dazustehen.
Letztlich musste man der Tatsache ins Auge sehen, dass es bei der Polizeiarbeit vor allem um
Papierkram und Computerarbeit ging und darum, dass jemand mit der Wahrheit herausrückte.
»Wir sind gleich da«, sagte Flight. »Die Kilmore Road ist die dritte Straße links.«
Die Kilmore Road befand sich in einem Industriegebiet, also würde es dort nachts wie ausgestorben
sein. Sie lag in einem Labyrinth von Gassen etwa zweihundert Meter von einer U-Bahn-Station
entfernt. Für Rebus waren U-Bahn-Stationen immer belebte Orte gewesen, die in dicht bewohnten
Gebieten lagen, doch diese hier befand sich in einer engen Seitenstraße, weitab von einer
Hauptstraße, einer Buslinie oder einem Bahnhof.
»Das versteh ich nicht«, sagte er. Flight zuckte bloß die Achseln und schüttelte den Kopf.
Wer auch immer spät abends aus dieser U-Bahn-Station kam, hatte einen Weg durch einsame Straßen
vor sich, vorbei an mit Gardinen verhängten Fenstern,

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