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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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hinter denen Fernseher plärrten. Flight
zeigte ihm eine beliebte Abkürzung, die durch das Industriegelände und die Grünanlage dahinter
führte. Die Grünanlage war flach und unbelebt; der einzige Blickfang waren zwei einsame Pfosten
eines Fußballtors; zwei orangefarbene Pylone bildeten das fehlende Gegenstück. Hinter der
Grünfläche schossen drei Hochhäuser und einige kleinere Häuser aus dem Boden. May Jessop war auf
dem Weg zu einem der Letzteren gewesen, in dem ihre Eltern wohnten. Sie war neunzehn und hatte
einen guten Job, musste jedoch häufig bis spät abends im Büro bleiben. Deshalb war es bereits
zehn Uhr, als ihre Eltern anfingen, sich Sorgen zu machen. Eine Stunde später klopfte es bei
ihnen an der Tür. Der Vater eilte erleichtert hin, um zu öffnen. Dort stand jedoch ein Detective,
der ihm erklärte, dass man Mays Leiche gefunden hatte.
Und so ging es weiter. Es schien keine Verbindung zwischen den Opfern zu bestehen, noch nicht mal
eine geographische, abgesehen von der Tatsache, dass - wie Flight hervorhob - alle Morde nördlich
des Flusses begangen worden waren, womit er nördlich der Themse meinte. Was hatten eine
Prostituierte, eine leitende Büroangestellte und die Verkäuferin in einem Schnapsladen gemeinsam?
Rebus hatte keine blasse Ahnung.
Der dritte Mord hatte sehr viel weiter westlich stattgefunden, nämlich in North Kensington. Die
Leiche war neben einem Eisenbahngleis gefunden worden, und zunächst hatte die Bahnpolizei die
Ermittlungen durchgeführt.
Bei der Toten handelte es sich um eine gewisse Shelley Richards, einundvierzig Jahre alt,
unverheiratet und arbeitslos. Sie war das bisher einzige farbige Opfer. Während sie durch Notting
Hill, Ladbroke Grove und North »Ken« (wie Flight es nannte) fuhren, beobachtete Rebus fasziniert
die wechselnde Szenerie. Auf eine Straße mit hochherrschaftlichen Häusern folgte urplötzlich eine
heruntergekommene Straße voller Müll, die Fenster der Häuser verrammelt, auf den Bänken am
Straßenrand Penner. Die Reichen und die Armen lebten beinah Tür an Tür. Das würde es in Edinburgh
niemals geben; in Edinburgh wurden bestimmte Grenzen eingehalten. Doch das hier war unglaublich.
»Auf der einen Seite Rassenkrawalle, auf der anderen Diplomaten«, wie Flight es
formulierte.
Der Ort, an dem Shelley Richards gestorben war, war der bisher einsamste und trostloseste. Rebus
kletterte den Bahndamm hinunter und sprang das letzte Stück von der Mauer herab auf den Boden.
Seine Hose war voller grüner Moosflecken. Er rieb daran herum, was aber nicht viel half. Um zum
Auto zurückzukommen, wo Flight auf ihn wartete, musste er unter einer Eisenbahnüberführung
hindurch. Seine Schritte hallten wider, während er versuchte, die Pfützen und den Unrat zu
umgehen, dann blieb er stehen und lauschte. Um ihn herum war ein Geräusch, es klang wie ein
Röcheln, als läge die Brücke im Sterben. Er schaute nach oben und sah die dunklen Umrisse von
Tauben, die reglos auf den Stützträgern hockten und leise gurrten. Das war es, was er hörte,
nicht ein Röcheln. Plötzlich ertönte ein grollender Donner. Über ihm fuhr ein Zug vorbei. Die
Tauben flogen auf und flatterten um seinen Kopf herum. Schaudernd ging er weiter ins Helle.
Schließlich hieß es zurück zur Einsatzzentrale. Dabei handelte es sich in Wirklichkeit um mehrere
nebeneinander liegende Räume, die beinah das gesamte Obergeschoss des Gebäudes einnahmen. Rebus
schätzte, dass etwa zwanzig Männer und Frauen dort hart arbeiteten, als Flight und er den größten
der Räume betraten. Die Szene unterschied sich kaum von irgendeiner anderen Mordermittlung
irgendwo im Land. Beamte telefonierten oder arbeiteten an Computerterminals. Büroangestellte
gingen mit scheinbar endlosen Stapeln Papier zwischen den Schreibtischen hin und her. In einer
Ecke des Raums spuckte ein Fotokopierer noch mehr Papier aus, und zwei Arbeiter einer Firma
rollten einen neuen fünffächrigen Aktenschrank neben die drei, die bereits an einer Wand standen.
An einer anderen Wand hing eine detaillierte Karte von London, auf der die Leichenfundorte mit
Stecknadeln markiert waren. Von diesen Punkten liefen farbige Bänder zu Stellen an der Wand, wo
Fotos, Details und Anmerkungen zu dem jeweiligen Mordfall angepinnt waren. Ein Dienstplan und ein
Flussdiagramm nahmen die übrige Fläche ein. Alles wirkte sehr gut durchorganisiert, doch die
Gesichter erzählten Rebus eine andere Geschichte. Alle

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