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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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»Das soll wohl ein Witz sein.« Aber er wusste, dass es keiner
war.
»Ist vor drei Monaten passiert«, sagte Flight. »Wir haben den Dreckskerl noch nicht erwischt,
aber Scotland Yard hat das Video - und noch einige mehr. Haben Sie mal einen Pornofilm mit
Krüppeln gesehen?«
Rebus schüttelte matt den Kopf. Flight beugte sich so weit herab, dass ihre Köpfe sich fast
berührten. »Jetzt spielen Sie nicht den Softie, John«, sagte er leise, »damit lösen Sie gar
nichts. Sie sind in London und nicht in den Highlands. Das obere Deck eines Busses ist hier
selbst tagsüber nicht sicher, geschweige denn ein Treidelpfad nach Einbruch der Dunkelheit. Alle
verschließen davor die Augen. In London entwickelt man ein dickes Fell und eine zeitweilige
Blindheit. Wir beide können uns nicht erlauben, blind zu sein. Aber wir können uns erlauben, ab
und zu einen trinken zu gehen. Kommen Sie mit?«
Er war bereits aufgestanden und rieb sich die Hände. Ende der Lektion.
Rebus nickte und erhob sich langsam. »Allerdings nur auf ein Schnelles«, sagte er. »Ich bin heute
Abend verabredet.«
Eine Verabredung, zu der er mit einer gerammelt vollen U-Bahn fuhr. Er sah auf seine Uhr. Halb
acht. Hörte die Rushhour denn niemals auf? In dem Wagen roch es nach Essig und verbrauchter Luft,
und ungeachtet des ganzen Fahrlärms und Geruckels versuchten auch noch drei plärrende Walkmen,
sich gegenseitig zu übertönen. Die Gesichter um Rebus herum waren ausdruckslos. Zeitweilige
Blindheit, Flight hatte ganz Recht. Sie schlossen ihre Umgebung aus, denn würden sie sie
wahrnehmen, würde ihnen bewusst, wie monoton, klaustrophobisch und schlechtweg quälend das alles
war. Rebus war deprimiert. Und müde. Aber er war außerdem Tourist, deshalb musste er alles mal
mitmachen. Daher auch die U-Bahn-Fahrt statt einer Fahrt in einem Taxi. Außerdem hatte man ihn
gewarnt, dass die schwarzen Taxis sehr teuer wären, und er hatte in seinem A-Z nachgesehen und
festgestellt, dass sein Ziel nur sechs Millimeter von einer U-Bahn-Station entfernt war.
Also reiste Rebus durch den Untergrund und bemühte sich sehr, nicht fehl am Platz zu wirken, die
Straßenmusiker und Bettler nicht anzugaffen, nicht in einem belebten Durchgang stehen zu bleiben,
um das eine oder andere Werbeplakat besser lesen zu können. An einer Haltestelle stieg ein Penner
in seinen Wagen, und als die Türen sich schlossen und der Zug sich wieder in Bewegung setzte,
fing der Mann an, wirres Zeug zu plappern.
Doch sein Publikum war taub, stumm und blind und ignorierte seine Existenz erfolgreich bis zur
nächsten Haltestelle, wo er entmutigt ausstieg und über den Bahnsteig schlurfte. Als der Zug
weiterfuhr, konnte Rebus seine Stimme aus dem nächsten Wagen hören. Es war eine erstaunliche
Vorstellung gewesen, nicht von dem Penner, sondern von den Fahrgästen.
Sie hatten ihren Denkapparat ausgeschaltet, weigerten sich, sich einzumischen. Würden sie das
Gleiche tun, wenn sie Zeugen einer Schlägerei wurden oder sahen, wie ein gedrungener Mann einem
Touristen die Brieftasche stahl? Ja, das würden sie vermutlich. Hier ging es nicht um gut und
böse; das hier war ein moralisches Vakuum, und das beunruhigte Rebus viel mehr als alles
andere.
Doch es gab auch gewisse Entschädigungen. Jede schöne Frau, die er sah, erinnerte ihn an Lisa
Frazer. Auf einer dieser engen Zweierbänke in der Cantral Line saß Rebus ganz dicht neben einem
blonden jungen Mädchen.
Ihre Bluse war bis an den Spalt zwischen ihren Brüsten aufgeknöpft, was dem größeren Rebus ab und
zu atemberaubende Ausblicke auf Abhänge und Hügel bot. Sie schaute von ihrem Taschenbuch auf und
ertappte ihn, wie er starrte. Er sah sofort weg, spürte aber ihren eisigen Blick auf einer
Gesichtshälfte.
Jeder Mann ist ein Vergewaltiger - hatte das nicht mal irgendwer gesagt? Spuren von Salz...
Bissabdrücke auf dem... Der Zug drosselte das Tempo, als er in eine weitere Station fuhr - Mile
End, seine Haltestelle. Das Mädchen stieg ebenfalls aus. Er blieb so lange auf dem Bahnsteig, bis
sie fort war, ohne genau zu wissen, warum, dann ging er zum Ausgang hinauf und an die frische
Luft.
Wohl eher in Monoxyd. Die drei Fahrspuren auf der Straße waren in beiden Richtungen verstopft,
weil ein Sattelschlepper nicht rückwärts durch das schmale Tor irgendeines Gebäudes setzen
konnte. Zwei entnervte Constables versuchten, den gordischen Knoten zu entwirren, und zum ersten
Mal fiel Rebus auf, wie dämlich

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