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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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ihre hohen abgerundeten Helme aussahen. Die flachen Kappen der
schottischen Polizei waren viel vernünftiger. Außerdem gaben sie nicht so ein gutes Ziel bei
Fußballspielen ab.
Rebus wünschte den Constables im Stillen »Viel Glück« und ging auf Gideon Park - kein Park,
sondern eine Straße - Nummer 78 zu, ein dreistöckiges Haus, das, nach den Namensschildern an der
Haustür zu urteilen, irgendwie in vier Wohnungen aufgeteilt worden war. Er drückte auf den
zweiten Klingelknopf von unten und wartete. Die Tür wurde von einem großen dünnen Mädchen im
Teenageralter geöffnet. Ihre langen glatten Haare waren schwarz gefärbt, und in jedem Ohr hatte
sie drei Ohrringe. Sie lächelte und gab ihm unerwarteterweise einen Kuss.
»Hallo, Dad«, sagte sie.
Samantha Rebus führte ihren Vater eine enge Treppe hinauf zu der Wohnung im ersten Stock, wo sie
mit ihrer Mutter lebte. Wenn seine Tochter sich schon erstaunlich verändert hatte, so war er über
die Veränderungen bei seiner Exfrau doppelt überrascht. Noch nie hatte sie so gut ausgesehen.
Zwar hatte sie ein paar graue Strähnen im Haar, doch es war modisch kurz geschnitten. Ihr Gesicht
hatte eine gesunde Bräune, und ihre Augen glänzten. Sie betrachteten einander wortlos, dann
umarmten sie sich kurz.
»John.«
»Rhona.«
Sie hatte in einem Buch gelesen. Er warf einen Blick auf das Titelblatt.
»Die Fahrt zum Leuchtturm« von Virginia Woolf. »Tom Wolfe ist eher mein Fall«, sagte er. Das
Wohnzimmer war klein, beengt sogar, doch durch eine geschickte Anordnung von Regalen und
Wandspiegeln wirkte es größer, als es war. Es war ein merkwürdiges Gefühl, Dinge wiederzusehen,
die er kannte, jenen Sessel dort, einen Kissenbezug, eine Lampe, Dinge aus seinem Leben mit
Rhona, die jetzt in dieser winzigen Wohnung standen.
Doch er lobte die Einrichtung, sagte, die Wohnung sei sehr gemütlich, und dann setzten sie sich
hin und tranken Tee. Rebus hatte Geschenke mitgebracht: Plattengutscheine für Samantha, Pralinen
für Rhona - alles wurde mit einem nicht zu entschlüsselnden, wissenden Blick zwischen den beiden
Frauen entgegengenommen.
Zwei Frauen. Samantha war kein Kind mehr. Ihr Körper mochte zwar noch die Geschmeidigkeit eines
Kindes haben, doch die Art, wie sie sich bewegte, ihr Verhalten, ihr Gesicht - das alles war voll
ausgeprägt und erwachsen.
»Du siehst gut aus, Rhona.«
Zögernd nahm sie das Kompliment entgegen. »Danke, John«, sagte sie schließlich. Er bemerkte, dass
sie offenbar nicht in der Lage war, das Gleiche von ihm zu sagen. Mutter und Tochter tauschten
wieder einen ihrer geheimen Blicke. Es war, als ob ihr Zusammenleben zu einer Art telepathischen
Beziehung zwischen ihnen geführt hätte, sodass Rebus im Laufe des Abends den größten Teil des
Redens übernehmen musste. Nervös füllte er immer wieder die vielen Lücken im Gespräch.
Es ging um nichts Wichtiges. Er sprach über Edinburgh, ohne im Einzelnen auf seine Arbeit
einzugehen. Das war nicht einfach, da er abgesehen von der Arbeit nicht viel machte. Rhona fragte
ihn nach gemeinsamen Freunden, und er musste zugeben, dass er mit niemandem von der alten Clique
Kontakt hatte. Sie redete über ihren Job als Lehrerin, über die Immobilienpreise in London.
(Rebus hörte nichts aus ihrer Stimme heraus, das ihm nahe legte, etwas zuzuschießen, damit seine
Familie sich eine größere Wohnung leisten könnte. Schließlich hatte sie ihn verlassen, aus keinem
wirklichen Grund, außer dass sie, wie sie es ausgedrückt hatte, einen Mann geliebt und einen Job
geheiratet hatte.) Dann erzählte Samantha ihm von ihrem Sekretärinnenkurs.
»Sekretärin?«, sagte Rebus und versuchte, begeistert zu klingen.
Samanthas Antwort war kühl.
»Davon hab ich dir in einem meiner Briefe geschrieben.«
»Oh.« Es entstand eine weitere Unterbrechung im Gespräch. Rebus hätte am liebsten laut beteuert:
Ich lese deine Briefe, Sammy! Ich verschlinge deine Briefe! Und es tut mir Leid, dass ich so
selten zurückschreibe, aber du weißt doch, was für ein saumäßig schlechter Briefeschreiber ich
bin, wie viel Mühe mich das kostet und wie wenig Zeit und Energie ich habe. So viele Fälle, die
gelöst werden müssen, so viele Leute, die sich auf mich verlassen.
Aber er sagte nichts. Natürlich sagte er nichts. Stattdessen spielten sie das übliche
heuchlerische Spielchen. Höfliches Geplänkel in einem winzigen Wohnzimmer in einer Seitenstraße
der Bow Road. So viel zu sagen, und nichts wurde

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