Wolfsmale
weitere Untersuchungen durchgeführt werden, Charakteranalysen und so
weiter. Das dauert seine Zeit.« Sie hielt inne. »Und wie läuft's bei Ihnen?«
»Nun ja, wir mühen uns weiter ab, checken, ermitteln, nehmen es...«
»Schritt für Schritt«, unterbrach sie ihn.
»Ganz genau, Schritt für Schritt. Und ich kann noch nicht einmal sagen, wie lange ich noch an dem
Fall arbeiten werde. Kann sein, dass die mich Ende der Woche nach Edinburgh
zurückschicken.«
»Warum haben die Sie überhaupt nach London geholt?«
Der Kellner war gekommen, um das Geschirr abzuräumen. Rebus lehnte sich zurück und wischte sich
mit der Serviette den Mund ab.
»Noch Kaffee oder einen Digestif, Sir?«
Rebus sah zu Lisa. »Ich glaub, ich nehme einen Grand Marnier«, sagte sie.
»Für mich nur einen Kaffee«, sagte Rebus. »Nein, warten Sie, was soll's, ich nehm das Gleiche.«
Der Kellner verneigte sich und entfernte sich mit dem schwer beladenen Tablett.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet, John.«
»Oh, das ist ganz einfach. Die haben geglaubt, ich könnte ihnen helfen. Ich hab nämlich in
Edinburgh mal in einem Serienmord ermittelt.«
»Tatsächlich?« Sie beugte sich vor; ihre Hände waren flach auf den Tisch gedrückt. »Erzählen
Sie.«
Also erzählte er es ihr. Es war eine lange Geschichte, und er wusste nicht genau, warum er ihr so
viele Einzelheiten nannte - mehr Einzelheiten, als sie wissen musste, und vielleicht mehr, als er
einer Psychologin erzählen sollte. Was würde sie nun von ihm denken? Würde sie eine leichte
Psychose oder Paranoia in seinem Charakter entdecken? Doch zumindest hatte er ihre völlige
Aufmerksamkeit, also schmückte er die Geschichte aus, um diese Aufmerksamkeit noch etwas länger
zu genießen.
Das zog sich über zwei Tassen Kaffee hin, das Bezahlen der Rechnung und einen Spaziergang durch
die laue Nacht über den Leicester Square, die Charing Cross Road, die St. Martin's Lane hinauf
und über Long Acre nach Covent Garden. Sie schlenderten um Covent Garden herum, während Rebus
immer noch fast ausschließlich das Gespräch bestritt. Er blieb bei drei nebeneinander liegenden
Telefonzellen stehen und betrachtete neugierig die kleinen weißen Karten, die jeden verfügbaren
Zentimeter an den Zellenwänden bedeckten: strenge Erziehungsmaßnahmen; Französischstunden;
O-und-A-Spezialistin; TV; Trudy, Nymphe, Versohl mir den Hintern; S/M-Kammer; Vollbusige Blondine
- alle mit einer Telefonnummer versehen.
Lisa sah sich die Karten ebenfalls an. »Jede auf ihre Art eine Psychologin«, sagte sie. Dann
fügte sie, mittlerweile beim vertraulichen »du« angekommen, hinzu: »Das ist ja eine
Wahnsinnsgeschichte, die du mir gerade erzählt hast, John. Hat da schon mal jemand was darüber
geschrieben?«
Rebus zuckte die Achseln. »Ein Zeitungsreporter hat ein paar Artikel darüber geschrieben.« Jim
Stevens. Mein Gott, lebte der nicht auch in London? Rebus musste an den Zeitungsartikel denken,
den Lamb ihm gezeigt hatte, den nicht namentlich gekennzeichneten Bericht.
»Ach so«, sagte Lisa, »aber hat irgendwer mal versucht, das Ganze aus deiner Sicht
darzustellen?«
»Nein.« Daraufhin sah sie ihn nachdenklich an. »Du willst doch nicht etwa eine Fallstudie aus mir
machen?«
»Nicht unbedingt«, sagte sie. »Ah, wir sind da.« Sie blieb stehen. Sie standen vor einem
Schuhgeschäft in einer schmalen Fußgängerstraße. Über den Geschäften waren jeweils zwei
Stockwerke mit Wohnungen. »Hier wohne ich«, sagte sie. »Danke für den schönen Abend. Hat mir
wirklich Spaß gemacht.«
»Danke für das Essen. Es war sehr gut.«
»Keine Ursache.« Sie verstummte. Sie waren nur zwei oder drei Schritte voneinander entfernt.
Rebus trat von einem Fuß auf den anderen. »Findest du wieder zurück?«, fragte sie. »Soll ich dir
zeigen, in welche Richtung du musst?«
Rebus blickte rechts und links die Straße hinunter. Er hatte keine Ahnung, wo er war, hatte
überhaupt nicht auf den Weg geachtet. »Ich finde das schon.« Er lächelte, und sie lächelte
zurück, sagte aber nichts. »Das war's dann also«, fuhr er fort. »Lädst du mich nicht noch auf
`nen Kaffee ein?«
Sie sah ihn verschmitzt an. »Willst du wirklich noch `nen Kaffee?«
Er erwiderte den Blick. »Nein«, gab er zu, »eigentlich nicht.«
Sie wandte sich ab und schloss die Tür neben dem Schuhgeschäft auf.
Der Laden bezeichnete sich als Spezialist für handgemachte Schuhe und für Schuhe, die nicht aus
Leder waren. Neben der Tür
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