Wolfsmale
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wie eine Galerie aussieht.
Sie sieht aus wie eine Schlachtbank.
»Hast aber eine schöne Wohnung, Schätzchen.«
Sie legt einen Finger auf ihre Lippen. »Nicht reden.« Die Frau wird allmählich misstrauisch, als
ob sie Zweifel bekäme, ob es klug war, mitzukommen. Also geht sie auf sie zu, grapscht nach einer
Brust und drückt ungeschickt einen feuchten Kuss auf geschwollene Lippen. Die Prostituierte wirkt
einen Augenblick erschrocken, dann bringt sie ein einstudiertes Lächeln zustande.
»Also, du bist nicht gerade ein Gentleman«, sagt sie.
Sie freut sich über diese Bemerkung und nickt. Die Haustür ist jetzt abgeschlossen. Nun geht sie
zur Tür der Galerie, schiebt den Schlüssel ins Schloss und schließt auf.
»Hier rein, Schätzchen?« Die Frau streift ihre Jacke ab, während sie über die Schwelle geht. Die
Jacke ist bereits nach hinten über ihre Schultern gerutscht, als sie sieht, was in dem Zimmer
ist. Doch da ist es natürlich zu spät, viel zu spät.
Sie macht sich mit so mechanischen Bewegungen über sie her wie ein routinierter Arbeiter, der am
Fließband steht. Hand auf den Mund, das Messer fest gepackt und vor dem Zustoßen ein kurzes
Ausholen. Sie hat sich oft gefragt, ob sie das Messer sehen oder ob sie bis dahin schon in
panischer Angst die Augen geschlossen haben. Sie stellt sie sich mit riesigen Glupschaugen vor,
den Blick starr auf das Messer gerichtet, dessen Spitze auf sie zeigt, nach hinten schwingt und
dann auf ihr Gesicht zufliegt.
Das könnte sie allerdings herausfinden. Dazu braucht sie nur einen strategisch günstig
aufgehängten Wandspiegel. Muss sie beim nächsten Mal dran denken.
Gurgelnde Geräusche. Die Galerie ist eine fantastische Kulisse, so zwischen Apollon und Dionysos.
Der Körper gleitet auf den Fußboden.
Zeit, sich an die wirkliche Arbeit zu machen. Ihr dröhnt der Kopf mummydaddymummydaddy
mummydaddymummydaddy -, während sie sich hinkauert, um ihre Aufgabe zu erledigen.
»Es ist nur ein Spiel«, flüstert sie, ihre Stimme nur ein Beben hinten im Rachen. »Nur ein
Spiel.« Sie hört noch einmal die Worte der Frau: nicht gerade ein Gentleman. Nein, das ganz
bestimmt nicht. Ihr Lachen ist rau und abgehackt. Plötzlich spürt sie es wieder. Nein! Nicht
schon wieder!
Nächstes Mal. Das Messer zuckt. Sie ist noch nicht mal mit der hier fertig.
Sie kann unmöglich diese Nacht noch eine schaffen! Das wäre Wahnsinn.
Der reine Wahnsinn. Aber das Verlangen ist da, ein absoluter und unstillbarer Hunger. Diesmal mit
einem Spiegel. Sie legt eine blutverschmierte Hand über ihre Augen.
»Hör auf!«, schreit sie. »Hör auf, Daddy! Mummy! Mach, dass es aufhört! Bitte mach, dass es
aufhört!«
Aber das ist das Problem, wie sie nur zu gut weiß. Niemand kann dafür sorgen, dass es aufhört,
niemand wird dafür sorgen, dass es aufhört. Es muss jetzt immer weitergehen, Nacht für Nacht.
Nacht für Nacht. Ohne Unterbrechung, keine Atempause.
Nacht für Nacht für Nacht.
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Flunkereien
»Das ist doch wohl ein Scherz!«
Rebus war zu müde, um wirklich wütend zu sein, aber seine Stimme klang gereizt genug, um den
Anrufer am anderen Ende der Leitung, der den Auftrag hatte, Rebus nach Glasgow zu beordern,
nervös zu machen.
»Der Prozess soll doch erst übernächste Woche beginnen.«
»Sie haben ihn verschoben«, sagt die Stimme.
Rebus stöhnte. Er lehnte sich auf seinem Hotelbett zurück, den Hörer unter ein Ohr geklemmt, und
sah auf seine Uhr. Halb neun. Er hatte letzte Nacht tief und fest geschlafen, war um sieben
aufgewacht, hatte sich leise angezogen, um Lisa nicht zu stören, und hatte ihr eine Notiz
hinterlassen, bevor er sich auf den Weg machte. Sein guter Orientierungssinn hatte ihn mit nur
wenigen Umwegen zum Hotel geführt, und nun wurde er von diesem Telefongespräch überfallen.
»Sie haben ihn vorverlegt«, sagt die Stimme gerade. »Er fängt heute an, und die brauchen Ihre
Aussage, Inspector.«
Als ob Rebus das nicht wüsste. Er muss nichts weiter tun, als in den Zeugenstand treten und
sagen, er habe gesehen, wie Morris Gerald Cafferty (in Verbrecherkreisen als »Big Ger« bekannt)
einhundert Pfund vom Wirt des Pubs City Arms in Grangemouth entgegennahm. So einfach ist das,
aber um es zu sagen, muss er dort sein. Der Fall Cafferty, Boss eines brutalen
Schutzgelderpresser- und Glücksspielrings, ist nämlich nicht wasserdicht.
Im Gegenteil, er hat mehr Löcher als der Daumen eines blinden Schneiders.
Er fügt sich in sein Schicksal.
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