Wolfsmondnacht (German Edition)
Sterbenden aus der erschlaffenden Hand. Er sank zu Boden.
Das Blut, das aus der Wunde schoss, schwängerte die Luft mit süßlich-metallischem Duft. Welche Verschwendung! Blutlust überkam ihn. Er wollte sich auf das Blut stürzen, doch dann erklang ein Pistolenschuss. Herumgerissen von der Wucht des Treffers in seiner Brust, stürzte er nieder. Schmerz fraß sich durch seinen Leib.
Aus den Augenwinkeln sah Jean-François, wie Mortemard, dieser Narr, auf ihn zutaumelte, obwohl er selbst blutete und der Schütze noch am Straßenrand lauerte. Jean-François rollte sich zur Seite. Er spürte die Feuchtigkeit seines Blutes auf seinem gesamten Oberkörper, doch der Heilungsprozess setzte bereits ein.
Jean-François zog seinen Dolch, zielte und warf. Der Dolch drang in die Brust des Schützen. Zeitgleich erklang der Schuss. Mortemard brach unweit von ihm zusammen. Jean-François robbte zu ihm.
Er spürte den Tod nahen. Er kam mit einem Eiswind, der die Seelen umschlang, doch die des Bluttrinkers konnte er nicht ergreifen. Vor dem Blutdämon in ihm wich selbst der Tod zurück, doch nicht vor Mortemards Seele. Lautlos betete Jean-François zu all den Göttern, an die er schon lange nicht mehr glaubte, dass der Tod nicht zu Mortemard kam, sondern zu dem anderen Mann, dessen Blut in den Rinnstein sickerte.
Jean-François strich Mortemards langes Haar beiseite, um an seinen Hals zu gelangen. Es war noch da, das Pulsieren des Lebens. Er riss Mortemards Hemd auf. Es war nur ein Streifschuss. Welch unwahrscheinliches Glück dieser tollkühne Narr doch hatte! Jean-François zerriss sein Hemd, um ihm einen Verband anzulegen, die den Blutfluss stoppen sollten.
Es bestand die Wahrscheinlichkeit, dass er überlebte, doch Mortemard musste raus aus Paris, das sich in einen Höllenpfuhl verwandelt hatte. Jean-François dachte an all die Toten, die die Straßen bedeckten.
Die Seine war rot von dem Blut der Leichen, die hineingeworfen worden waren. Auf dem Place de Grève, wo einst seine Mutter gebrannt hatte, gingen jetzt die Protestanten in Flammen auf. ›Brennkammer‹ nannten die Menschen diesen Ort des Schreckens jetzt.
Es war ein einziges Massaker in dieser Nacht des Saint Barthélemy, seit 1562 der vierte Bürgerkrieg, der im Namen der Religion, doch noch viel mehr im Namen der Macht, begonnen worden war.
Vor zwei Tagen erfolgte ein missglückter Mordanschlag am protestantischen Admiral Coligny, vermutlich von der Königinmutter Caterina in Auftrag gegeben, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte. Was jetzt folgte, war Massenmord aus Angst vor Vergeltung. Mortemard war also einer von ihnen, den Hugenotten. Nicht, dass er etwas gegen diese hätte.
Jean-François war schneller mit dem Verbinden fertig als ein Mensch. Stets achtete er auf näherkommende Schritte, doch niemand kam in ihre Richtung.
Vorsichtig nahm er Mortemard auf seine Arme und hoffte, dieser würde nicht noch mehr Blut verlieren. Ebenso hoffte er, all dem Blut widerstehen zu können und dem Mann in seinen Armen.
Sein Kopf war nach hinten gefallen, die Haut seines Halses leuchtete hell im Mondschein über der pulsierenden Ader. Es wäre ein Leichtes, den Schulter- oder Brustverband mit den Zähnen aufzureißen, die Wunde mit der Zunge zu erforschen und von ihm zu kosten. Jean-François verdrängte diese Gedanken und flog auf des Windes Schwingen nach Padua.
In seinem Haus angekommen, legte er Mortemard, ungeachtet des vielen Blutes, auf sein Bett. Er holte einen der besten Ärzte der Stadt, einen kleinen Mann mit Glatze. Jean-François spürte all die Fragen im Geiste des Arztes, doch er trieb ihn an, zu handeln, anstatt zu reden. Es galt, Mortemards Leben zu retten. Mit einem Messer zerschnitt er Mortemards Wams und Hemd und entfernte die Kleidung vollständig.
Der Arzt stillte die Blutung, tat etwas zur Verhinderung einer Infektion auf die Wunde und verband sie sorgfältig.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist, doch er hat viel Blut verloren und wird einige Tage im Bett verbringen müssen. Was ist mit ihm geschehen?« Der Arzt musterte Jean-François aufmerksam.
»Ein Überfall, als er zu Pferde unterwegs war.«
Der Arzt nickte. »Die Straßen sind gefährlich in der Nacht. Überall lauern Räuber und Wegelagerer.« Der Blick des Arztes lag auf Jean-François’ lädiertem Hemd. Das Blut daran trocknete bereits und begann zu jucken.
»Soll ich Eure Wunden auch noch ansehen?«
» Non , das ist nicht nötig.«
»Danach sieht es aber nicht
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