Wolfsmondnacht (German Edition)
erwarteten, nickten ihm zu. Er kannte sie von seinen bisherigen Besuchen beim König. Mortemard hatte Erfolge erzielt in den zehn Monaten, in denen er Charles IX. behandelte. Jetzt galt es nicht lockerzulassen, um das Therapieziel nicht zu gefährden. Noch war das Gleichgewicht der Körpersäfte nicht vollends stabil. Der heutige Besuch jedoch war außerhalb der Reihe. Warum ließ der König ihn rufen? Hatte sein Zustand sich verschlechtert?
Die Diener grüßten ihn wie immer und hielten ihm die Tür auf. Es war nicht anzunehmen, dass sie etwas wussten. Mortemard zwang sich zur Ruhe. Nur leicht bebte seine Stimme, als er den Gruß erwiderte.
Ein Kribbeln durchlief seinen Leib, als er den Donjon betrat. Mortemard verspürte eine schlechte Vorahnung, die wie ein Schatten über ihn schwebte, was durch die kühle Düsternis des Untergeschosses des Turms noch verstärkt wurde. Mortemard durchquerte die quadratische Halle, in deren Mitte eine Stützsäule stand. Im hinteren rechten Türmchen befand sich die Wendeltreppe, die beinahe doppelt so breit war wie ein Mann hoch.
Mortemard erklomm sie, gefolgt von den Dienern. Ihre Schritte hallten von den Steinwänden wider. Welch merkwürdiges Phänomen, dass die Zeit schneller verging, wenn man es eilig hatte. Zwar erschienen ihm die Stufen ins zweite Obergeschoss endlos, doch schneller als ihm lieb war stand er vor der nur angelehnten Tür zu den Räumen des Königs.
Zu seiner Verwunderung führten ihn die Diener ins Arbeitszimmer anstatt wie gewöhnlich ins Schlafzimmer, wo er die Behandlungen durchführte. Der König war noch nicht da, was Mortemard nicht überraschte. Der Höhere ließ die Niederen warten. Das war der Lauf der Dinge.
Er nutzte die Gelegenheit, um sich diskret umzusehen. Wie der Schlafraum war auch das Arbeitszimmer quadratisch und mit einem Kamin ausgestattet. Nach Mortemards Einschätzung lag es direkt über der Eingangswölbung des Erdgeschosses.
Sein Blick streifte die Diener, die es vermieden, ihn anzusehen und stattdessen auf ihre Schuhspitzen starrten. Wann kam endlich der König? Ungewissheit konnte schlimmer sein als das ärgste Übel.
Mortemard begann schon, die goldenen Lilien zu zählen, die auf blauem Hintergrund auf die Wand gemalt waren, da betrat Charles IX. den Raum. Er war zweiundzwanzig und schlank von der Statur. Wie stets fiel ihm auf, dass der König unaufdringliche Farben bevorzugte. Er trug eine eng anliegende weiße Hose, darüber eine kurze Pluderhose, ein schwarzes Wams, das bis zu den Armwülsten und Schößen mit Zierborten besetzt war. Sein Gesicht war schmal, geziert von einem haselnussbraunen Bart. Der König war sehr blass, aber Mortemard kannte ihn nicht anders. Dennoch beunruhigten ihn die Schatten unter dessen Augen.
Mortemard verbeugte sich tief. »Seid gegrüßt, Monseigneur.«
»Bonsoir, Monsieur Mortemard.«
»Ich hoffe, Euch und der Königin geht es gut«, sagte Mortemard, der sich aus der Verbeugung erhob.
Der König lächelte. »Meine Königin ist in Fontainebleau. Die Luft dort wird ihr gut tun. In Vincennes und Paris ist zu viel geschäftiges Treiben für sie.« Anspannung lag im Tonfall des Königs, doch wer verspürte diese nicht, wenn er zum ersten Mal Vater wurde?
Mortemard erwiderte das Lächeln. »Ich bitte Euch, Monseigneur, der Königin meine untertänigsten Grüße auszurichten.«
»Das werde ich.«
»Wie darf ich Euch zu Diensten sein, Monseigneur?«
»Darüber möchte ich mit Euch sprechen.« Charles ernster Blick traf ihn. »Ich stimme mit unserem Freund, dem Comte de Bourois, überein, dass Ihr ein fähiger Heiler seid, einer der besten von Paris. Dennoch muss ich Euch dennoch bedauerlicherweise aus meinen Diensten entlassen.«
Mortemards Herz schlug schneller. Er fühlte Hitze in sich aufsteigen.
»Entlassen? Aber warum denn, Monseigneur? Seid Ihr nicht zufrieden mit mir?« Im gleichen Moment, in dem er die Worte aussprach, bedauerte er es bereits. Man hinterfragte des Königs Entscheidungen niemals. Man nahm hin, was auch immer der König für richtig hielt.
Zu seiner Überraschung war Charles IX. jedoch nicht erzürnt. Er hüstelte. »Meine Mutter wünscht nicht, dass Ihr mich länger behandelt.«
Mortemard betrachtete den König besorgt. »Gab es Rückschläge im Behandlungserfolg?«
Charles IX. schüttelte den Kopf. »Meine Mutter möchte, dass ihre Ärzte mich fortan behandeln. Vermutlich ist es nur eine ihrer Launen und legt sich in ein paar Monaten.« Der König hob die
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