Wolfsmondnacht (German Edition)
Ansicht, dass zu dieser Tageszeit nur Beerdigungen stattfanden. Schließlich hatte er Carinas Vater überreden können, da dies seine einzige Bedingung war. Viel mehr war ihm nicht möglich, durchzusetzen.
Ebenso teilnahmslos wie seine Trauung, ließ er die Hochzeitsfeier über sich ergehen. Signor Giacomettis schlechte Witze, über die Carinas Tanten schrill lachten, schlugen auf sein Gemüt.
Endlich ging das Fest zu Ende. Jean-François war froh, Carinas geschwätzige Verwandtschaft endlich loszuhaben. Vor allem wollte er Signor Giacometti nicht mehr sehen. Carina zog sich unter dem Vorwand einer Migräne in ihr Gemach zurück.
»Du hast es also tatsächlich getan«, sagte Alessio.
Jean-François nickte und starrte trübsinnig auf das gefüllte Weinglas vor sich. Nicht einmal mehr besaufen konnte man sich als Bluttrinker.
»Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen könnte man dies für eine Bestattung halten, anstatt einer Hochzeitsfeier«, sagte Alessio.
»Bei Giacomettis Bestattung werde ich jubeln, dessen kannst du dir sicher sein.«
»Warum lässt du dich von ihm erpressen? Du kannst jederzeit woanders neu anfangen.«
»Woanders. Du sagst es. Ich bin es endgültig leid, ständig fliehen zu müssen, ständig neu anfangen zu müssen. Es reicht. Zwar plante ich, Padua auf Dauer nur als Zweigstelle zu führen, doch bin ich nicht bereit, alles, was ich hier aufgebaut habe, wegen dieses aufgeblasenen, selbstherrlichen Bankiers aufzugeben.«
»Darum heiratest du seine entehrte Tochter und spielst ihm in die Hände.«
»Es ist nicht so, wie du denkst. Carina ist auch nur ein Opfer in dieser Farce.« Jean-François strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Sie hätte nicht mit jedem durch die Betten toben sollen, dann wäre sie niemals in diese Lage gekommen.«
»Das kann auch nur ein Mann sagen, da er von dieser Lage verschont bleibt, egal durch wie viele Betten er tobt. Er kann sich schließlich herausreden, das Kind wäre nicht von ihm.«
»Die Weiber sagen es auch.«
»Bigotterie.«
»Wenn dir das reicht, um dein Leben lang an ein Weib gebunden zu sein, das du nicht liebst und dessen Kind nicht von dir ist, so sei es.« Alessio schüttelte den Kopf.
Jean-François lächelte. »Nur ihr Leben lang. Ich werde Carina um ein Vielfaches überleben.«
»Wie willst du ihr erklären, dass du nicht alterst? Früher oder später wird sie dahinterkommen, dass etwas mit dir nicht stimmt.«
»Lass das meine Sorge sein. Wir werden uns ohnehin nur wenig sehen. Unserem Arrangement zufolge geht jeder seinem Leben nach, ohne sich viel um den anderen zu kümmern.«
Alessio starrte ihn an. »Ein Arrangement?«
Jean-François lächelte. »Gewiss doch. Oder hältst du mich für ganz naiv? Wir teilen weder das Bett noch das Leben miteinander, jeder kann tun und lassen, was ihm beliebt und …«
Alessio unterbrach ihn. »So etwas Unmoralisches habe ich ja noch nie gehört!«
»Dann wurde es Zeit.«
»Jean-François, du bist mit ihr verheiratet.«
» Oui ?« Jean-François hob die Augenbrauen.
»Du hast ihr Treue gelobt.«
»Vor wem? Vor ihrem Vater? Lachhaft.«
»Vor Gott.«
»Gott hat weder Carina noch mir geholfen. Wir wollen die Ehe annullieren lassen, wenn Carinas Vater stirbt.«
»Soll ich mich darum kümmern?« Alessio griff in seine Tasche und holte einen Glasdolch hervor, der gefährlich glitzerte.
»Non, mon ami . Jeder weiß, dass ich Giacometti hasse. Ich habe keineswegs vor, mein Leben im Kerker zu fristen. Doch du kannst Carinas Tanten erledigen. Eine halbe Stunde von deren Geschwätz und dir schmerzt die ganze Nacht der Schädel. Die haben angekündigt, häufig zu Besuch zu kommen.« Jean-François erschauderte.
»Du Ärmster. Ich werde für dich beten und eine Kerze für dich entzünden.«
»In Frankreich sagen wir: Entzünde eine Kerze für Gott, doch zwei für den Teufel«, sagte Jean-François und lächelte. »Entzünde mir zwei Kerzen.«
20. August 1572
Donatien Mortemard näherte sich aus westlicher Richtung dem Turm des Château de Vincennes. Das Schloss gehörte zur Stadt Vincennes, die sich an den Südosten von Paris anschloss.
Hoch ragte der Donjon vor Mortemard auf. Stets hatte dieser Turm etwas Bedrohliches an sich. Die untergehende Sonne warf Donatiens Schatten voraus, ließ ihn flackern mit jedem Schritt, den er tat. Neben einem der vier runden, in den quadratischen Hauptturm eingelassenen Türmchen befand sich der Hintereingang.
Die beiden Diener, die ihn dort
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