Wolfsmondnacht (German Edition)
daran hing. Auch er war ein Obsidian, schwarz und dunkler als die Nacht selbst, bis auf das irisierende Auge an der Seite.
»Sie verbrennen an den Steinen aus dem Herzen der Vulkane, der brennenden Dunkelheit«, sagte er.
»Du bist dir absolut sicher mit dem, was du vorhast?«
Er nickte. » Naturellement . Sonst würde ich es nicht tun.«
»Ich lasse dich nicht allein gehen. Warte einen Augenblick, bis ich mich umgekleidet habe.«
Mortemard legte ihr die Kette um. Dabei streiften seine Finger ihren Hals, was ihr Blut schneller fließen ließ. Sie erschauerte. Der Stein war noch warm von seinem Leib, den sie nie wirklich berührt hatte und der bald tot in der kalten Erde liegen konnte.
Mortemard nahm einen Dolch aus seiner Tasche und reichte ihn ihr. Céleste erschrak, denn er war ganz dunkel, doch nicht von Blut. Er war ebenfalls aus Obsidian gefertigt und glänzte gefährlich scharf.
»Danke«, sagte sie abermals.
»Du musst ihn ohne zu zögern einsetzen.«
Sie nickte.
Er trat hinaus in die Nacht und sattelte sein Pferd, das vor dem Haus an einer Tränke stand. Céleste näherte sich ihm.
»Du willst wirklich zu ihm? Aber du bist erschöpft und dein Pferd sicher auch.«
»Ich habe genügend geschlafen.« Er lächelte breit, doch sie bemerkte die Nervosität dahinter. »Und was das Pferd betrifft: das habe ich erst ausgetauscht.« Seine Miene wurde ernst. »Ich habe nur das eine Pferd, Céleste. Allein komme ich schneller voran.«
»Aber …«
Er legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen. » Non , Céleste, wenn du mitgehen würdest, hätte ich ständig Angst um dein Wohlergehen, was mich wiederum behindern könnte. Bleibe hier und warte auf mich. Bitte.«
Donatien nahm seinen Finger von ihrem Mund. Er beugte sich über sie. Seine Lippen streiften sanft die ihren. Es war der erste Kuss, den sie seit Jahren von einem Mann erhalten hatte, Jean-François ausgenommen, und doch erschien es ihr wie der allererste. Sie spürte die dahinter zurückgehaltene Leidenschaft.
Bevor sie sich darüber im Klaren wurde, was dies für sie und ihn bedeuten konnte, wandte er sich um und schwang sich auf sein Pferd. Er sah beeindruckend aus. Ein schwarzer Reiter auf ebensolchem Pferde. Ihr Herz schlug schneller, doch nicht nur aus Angst um ihn.
»Pass auf dich auf, dort ist Moorland«, rief sie, doch wusste sie nicht, ob er ihre Worte vernahm.
Donatien warf ihr einen Luftkuss zu und galoppierte davon. Céleste sah im fluchend nach. Wo hatte er nur so reiten gelernt? Ganz sicher nicht in Paris. Ihr fiel ein, dass er fünf Jahre auf dem Lande gelebt hatte, bevor seine Eltern wieder nach Paris gezogen waren. Sie würde ihn danach fragen, so wie sie ihm viel zu sagen hatte, wenn sie ihn das nächste Mal wiedersah. Falls sie ihn lebend wiedersah.
Donatien Mortemard ritt durch den dunklen Wald. Die Sonne versank am Horizont. Ihr letztes Licht erreichte den Waldboden nicht mehr.
Mit dem Ende der Dämmerung erwachten die Wesen der Nacht. Tausend Stimmen besaß die Natur. Die Rufe der Käuzchen und Eulen hallten durch die Finsternis. Ein Hermelin verschwand in einem hohlen Baumstamm. Es knackte überall im Unterholz. Hin und wieder sah Donatien glühende Augen, die ihm aus dem Dickicht entgegenstarrten. Ein Heulen erklang in der Ferne, schwoll an und verebbte. Sein Nachhall jedoch blieb in Donatiens Geist.
Wenn es nicht um Célestes Kind ginge, so wäre er bereits wieder umgekehrt. Non , er wäre erst gar nicht losgeritten. Er war kein Feigling, doch auch für gewöhnlich kein Hitzkopf, der sich zu Leichtsinn verleiten ließ. Doch er wusste, dass er Célestes Herz nur über ihr Kind gewinnen konnte. Starb ihr Kind, so verging auch ihr Herz.
Er musste Jeanne finden und diesem loup-garou den Garaus machen, wenn die Jäger hier dazu nicht in der Lage waren. Er kannte diese Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit aus Paris. Niemand scherte sich darum, wenn ein Kind verschwand. Tagtäglich starben sie in Paris. Nur jedes zehnte erreichte das Erwachsenenalter. So hängte jemand, der sich klug wähnte, sein Herz nicht an ein Kind.
Doch es war nicht nur seine Liebe zu Céleste, sondern auch seine Schuld gegenüber ihrem Bruder Jean-François, die ihn dazu trieben. Ihm verdankte er sein Leben. Jetzt ging es um das seiner Nichte. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Er hoffte, dass diese Spur die richtige war. Doch selbst wenn nicht, konnte er womöglich im Wald Hinweise finden. Seine Ausbildung ließ ihn viele Dinge erkennen, denen
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