Wolfsmondnacht (German Edition)
glucksendes Lachen aus.
»Ihr habt also kein Mädchen gesehen? So um die zehn, zwölf Jahre alt?«
»Sind die nicht etwas zu jung dafür?«
»Es wird eines vermisst.« Mortemard spürte Ärger in sich aufsteigen, hielt ihn jedoch zurück.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand Kinder vermisst.« Seine Worten klangen abfällig.
Mortemard sah ihn erstaunt an. »Warum nicht?«
»Weil sie unnütz sind. Sie können nicht richtig arbeiten, sind schwach im Leib und im Geiste. Keine richtigen Menschen sind sie.«
»Dem widerspreche ich. Wir alle waren Kinder.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, nicht alle. Sie sind plump. Aus ihren Nasen läuft ständig Rotz. Sie sind weniger wert als Vieh.«
Mortemard schluckte, doch das Gefühl der Enge in seinem Hals wich nicht. Dennoch musste er weitermachen - für Céleste und um Jeannes Lebens willen.
»Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet. Habt Ihr das Mädchen gesehen?«
»Warum vergeudet Ihr Eure Zeit? Hier werdet Ihr sie nicht finden.«
»Seid Ihr der Eremit?«
»Sehe ich etwa aus wie der Papst?« Der Mann lachte höhnisch. »Oder wie der König von Kastilien?« Er hob die Hand an, die bisher zwischen den Falten seiner Pluderhosen verborgen war, und hielt sie vor Donatien hin. Seine Handfläche war schmutzig und die Fingernägel lang und ungepflegt. »Ihr habt etwas, das mir gehört.«
Mortemard sah ihn verwirrt an. »Wie bitte?«
»Den Knochen. Gebt mir den Knochen. Ich habe doch gesehen, dass Ihr ihn mir gestohlen habt.«
»Ist er … Ist er von dem Mädchen?«
»Er ist von einem Reh, Ihr Narr. Her damit.«
»Warum ist Euch ein Knochen so wichtig?«
»Ich sammle Knochen.« Fordernd streckte er seine Hand näher an Donatien heran. »Wird’s bald? Her damit!«
»Es tut mir leid, Monsieur Garnier, doch ich besitze keinen Rehknochen.«
Garniers Hand begann zu zittern. Ein Ausdruck des Schmerzes trat in seine Augen. Als er seinen Mund öffnete, sah Mortemard, dass ihm spitze Fangzähne gewachsen waren. Er starrte wieder auf dessen Hand und sah, wie die Fingernägel länger wurden. Auch die Handknöchel veränderten sich. Graubraunes Haar spross ihm aus jeder Pore. Die Verwandlung ging so schnell vonstatten, dass sie Donatien überraschte.
Der loup-garou sprang ihm an die Kehle. Gerade rechtzeitig riss Mortemard das Macuahuitl hoch. Dem Werwolf gelang es nicht mehr, auszuweichen. Von der Waffe getroffen heulte er auf. Aus der Wunde an seiner Schulter, wo ihm die Obsidianklinge Haut und Fleisch aufgerissen hatte, trat Rauch aus.
Er fletschte die Zähne. Hass stand in den Augen der Kreatur. Geifer troff ihm aus dem Maul. Blitzschnell sprang er abermals vor und zerfetzte Donatiens Wams mit den Krallen. Das Papierbündel mit dem Kinderknochen fiel zu Boden. Blut quoll aus den Kratzern, die seine Klauen in Donatiens Haut hinterlassen hatten.
Kurz war der loup-garou unaufmerksam und wollte den Knochen mit dem Fuß wegkicken. Mortemard holte zu einem Schlag aus, der den loup-garou schwer verletzen oder gar töten würde, da wurde er zur Seite gerissen. Er streifte Garnier dennoch, der blutend und heulend zu Boden ging. Mortemard fiel auf den Rücken. Etwas landete schwer auf seiner Brust.
Er starrte in die Fratze einer Kreatur, die ihm aufhockte.
Merde! Ein weiterer loup-garou ! Damit hatte er nicht gerechnet. Mit Garnier allein wäre er vermutlich fertig geworden. Oder war Garnier gar nicht der loup-garou , den er suchte? Seine Gedanken überschlugen sich.
Das Macuahuitl war zwischen ihre beiden Leiber einklemmt. Der loup-garou erhob eine Klauenhand und zeichnete blutige Linien in Donatiens Haut, die entsetzlich brannten. Die Kreatur blies ihm ihren fauligen Atem ins Gesicht.
Mortemard wandte das Gesicht ab, nur um Gilles Garnier zu sehen, der neben ihm hockte und ihn hasserfüllt anstarrte. Er war inzwischen zu einer entsetzlichen Mischung aus Mensch und Wolf geworden. Blut aus einer Platzwunde an seiner Stirn lief ihm über die deformierten Gesichtszüge und sickerte in eines seiner Augen.
»Begrüßt Apolline.« Seine Stimme klang dumpf und verzerrt, wie man sich die eines Dämons vorstellte. »Ist sie nicht hübsch?« In diesem Moment blies Apolline ihm abermals ihren fauligen Atem ins Gesicht.
»Sie wird Euch gleich küssen, Fremder. Halstief!« Gilles Garnier stieß ein kehliges Lachen aus, das irrer nicht hätte sein können und offenbarte dabei ein furchterregendes Gebiss.
Einem inneren Zwang folgend wandte Mortemard sein Gesicht
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