Wolfsmondnacht (German Edition)
sehen.«
»Ja, Monseigneur.«
»Und jetzt geh. Beleidige meine Augen nicht länger.«
»Danke, Monseigneur. Guten Tag.«
Gilles Garnier ging hinaus. Es war wie immer. Niemand verstand ihn. Der König verstieß ihn aus dem Volk der loup-garous . Zu den Menschen hatte er niemals richtig gehört. Immer war er ein Außenseiter und für seine Eltern nie gut genug gewesen. Spott war alles, was er von den anderen Kindern bekommen hatte für seine abstehenden Ohren und die abgetragene Kleidung. Seine gesamte Kindheit lang hatten sie ihn gehänselt und ihm sein Leben zur Hölle gemacht.
Er hasste die Menschen, doch besonders deren Kinder. Alle waren sie immer besser gewesen als er, der Außenseiter. Indem er sie tötete, holte er sich ihre Stärke und Schönheit und nahm sie in sich auf mit ihrem Fleisch.
Kapitel 20
Gewaltig brannte der Blutdurst in Jean-François. Viel hatte es ihm gekostet, sich nicht auf Monsieur Mortemard zu stürzen. Wie verlockend es ihm erschien, das Blut von dessen Haut zu lecken und seine Wunden mit der Zunge zu berühren.
Stundenlang hatte er das Haus des Eremiten von Sr. Bonnot sowie die Umgebung durchsucht, doch keine Spur, die auf Jeanne hinweisen könnte, gefunden. Der Eremit und seine Frau waren wie vom Erdboden verschluckt. Sie schienen auch ihre Geruchsspuren durch Kräuter und Parfums überdeckt zu haben.
Es war Zeit für ihn, endlich zu jagen. Der Mond war noch recht voll, doch sein Licht erreichte den Waldboden nicht mehr. Nebel wand sich um die Bäume und Sträucher und verschluckte alles bereits nach wenigen Metern. Der Wind blies Jean-François das Haar ins Gesicht. Er strich es weg. Gleich würde er den Nebel von oben sehen, die Beute verfolgen, jagen und sich endlich von diesem quälenden Durst erlösen.
Er rief den Wind in seinen Geist und entfesselte hoch oben in der Luft Strömungen, die ihn tragen würden zu jedem Ort, der ihm genehm war. Aus den Augenwinkeln wurde er sich Schatten in der Höhe gewahr. Sie sprangen von einem Baum direkt vor ihm herab. Schwarz verhüllte Gestalten, deren Umhänge hinter ihnen in die Höhe stoben, dunklen Schwingen gleich. Sie sahen aus wie Menschen, doch sie waren viel schneller als diese. Ehe er sich in die Höhe schwingen konnte, traf ihn einer an der Brust und riss ihn mit sich. Er fiel hinab. Sogleich ergriff ein weiterer der Schwarzgewandeten ihn.
Zwischen den Bäumen schoss ein weißes Schemen aus dem Nebel und stürzte sich auf einen der beiden Schwarzgewandeten, die ihn festhielten. Einer der Männer schrie auf. Blut floss aus seiner Wunde und zwischen den gewaltigen Kiefern des weißen Wolfes hervor. Sie waren abgelenkt, wodurch er sich dem Griff des anderen Mannes entwinden konnte.
Fasziniert ließ Jean-François seinen Blick über das Tier streifen. Niemals zuvor hatte er einen derart großen weißen Wolf gesehen. Er griff den nächsten Mann an. Jean-François kämpfte indes gegen die drei anderen Schwarzverhüllten. Er glaubte, Hufgeklapper in der Ferne zu hören. Einen Mann schlug er zu Boden. Der zweite stürzte sich mit dem Dolch auf Jean-François.
»Ich will ihn lebend!« rief einer der Männer.
Verdammt! Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er wusste sie jedoch nicht einzuordnen. Zu seiner Überraschung riss der Mann tatsächlich den Dolch herum und traf, obwohl er seitlich auswich, Jean-François’ Arm. Er schrie auf, doch mehr vor Wut als vor Schmerz. Blut schoss hervor und tränkte seinen Ärmel. Er schlug dem Angreifer mit der Faust in den Bauch. Noch während er sich vor Schmerz krümmte, packten sie ihn von hinten. Sie zerrten Jean-François ins Dickicht des Waldes.
»Wir müssen weg hier«, sagte einer von ihnen.
Jean-François vernahm das Heulen eines Wolfes. Er sah in die Richtung, aus der es gekommen war. Auf dem Rücken des weißen Wolfes breitete sich ein Blutfleck aus. Einer der Männer stand hinter ihm, einen bluttriefenden Dolch in Händen. Er wischte ihn an seinem Gewand ab und eilte den Männern nach, die Jean-François in den Wald schleppten. Womöglich hatte er dem Wolf aufgrund der Eile nicht tödlich getroffen. Zumindest hoffte Jean-François es. Durch die Baumstämme hindurch konnte er Reiter erkennen, die sich der kleinen Lichtung näherten. Der weiße Wolf taumelte leicht und verschwand dann außerhalb seines Blickfelds.
»Ein loup-garou !« Heiser war die Stimme des Jägers. Jean-François erkannte durch die Baumstämme hindurch nicht, wie viele es waren, doch er sah ihre
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