Wolfsmondnacht (German Edition)
Boden.
»Du kannst Pamina nicht den Menschen überlassen. Sie werden sie lebendig verbrennen«, sagte Jean-François, »so, wie sie Suzette verbrannt haben. Warum sollte Pamina ihren Mann getötet haben? Ich halte sie nicht dazu fähig.«
»Dann kennst du sie nicht wirklich. Sicher hat sie es für dich getan, denn sie wollte frei sein für dich, doch du bist nicht mehr zu ihr nach Dôle gekommen. Welch Ironie!«
Jean-François schluckte. » Non , das glaube ich nicht. Wir müssen sie befreien. Sie ist unschuldig.«
»Allein ihr Anderssein wird für die Menschen Schuld genug sein. Sie töten, was sie nicht verstehen.« Jean-François entging die Bitterkeit in Émiles Stimme nicht.
»Ein loup-garou hat Kinder getötet. Kein Wunder, dass die Menschen aufgebracht und voller Hass sind.«
Émile sah ihn einen Moment mit einem Ausdruck in den Augen an, der Zerrissenheit zeigte. Doch dann hob er die Achseln. »Sie sind doch nur Menschen.«
»Nur Menschen?«
»Menschen, die uns hassen und vernichten wollen. Die Menschen haben meine Mutter lebendig verbrannt, nur weil sie ein loup-garou war. Niemandem hat sie jemals etwas getan. Sie war die Güte und die Lieblichkeit in Person. Ich habe mein Volk immer vor den Menschen gewarnt. Wir sollten sie beherrschen, bevor sie uns beherrschen und vernichten.« Émile lief unruhig auf und ab.
»Gerade deshalb kannst du Pamina nicht diesen Leuten überlassen.«
Olivier blieb stehen und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Sie bekommt nur, was sie verdient.«
Jean-François betrachtete seinen Stiefvater, den er so lange zu kennen geglaubt hatte. Es erschien ihm, als stünde ein Fremder vor ihm, der nur aussah wie Émile. Zudem hatte er das Gefühl, dass Émile noch andere Dinge vor ihm verbarg.
»Ich war der Köder für Pamina. Doch woher wusstest du, dass ich nach Dôle kommen würde?«
Émile klatschte in die Hände. »Welch hohe Auffassungsgabe du doch besitzt.«
Jean-François’ ruckartige Armbewegung ließ die Ketten klirren. Am liebsten hätte er Émile ins Gesicht geschlagen für so viel Arroganz, doch die Ketten hielten ihn zurück.
Er sah, dass diese dicker waren als gewöhnliche. Wohl waren es welche, mit denen man selbst einen loup-garou gefangen halten konnten.
»Jetzt gehörst du mir, Stiefsohn.« In seinen Worten lag ein Unterton, der nichts Gutes verhieß. »Jetzt ist der Tag der Abrechnung gekommen.« Ein Knurren entrang sich seiner Kehle. »Du wirst bezahlen für all das, was du mir angetan hast. Für all das Leid, das ich durch dich ertragen musste.«
»Ich habe dir kein Leid zugefügt. Ich habe dich in Ruhe gelassen, solange du mich oder das Geschäft nicht behindert hast.«
»Du hast deine schmutzigen Griffel gegen mich erhoben und mich aus dem Bordell geschmissen und du hast mir gedroht, mich zu töten.« Émile streckte eine Klauenhand vor und fuhr damit über Jean-François’ Brust. Aus einer Vielzahl von Striemen rann Blut. Sie brannten wie die Hölle.
»Gnade dir der Teufel, wenn ich hier rauskomme.«
»Du wirst aber hier nicht rauskommen, Stiefsohn. Nie wieder wirst du hier herauskommen. Zumindest nicht lebend.«
»Als Knabe habe ich geschworen, dich zu töten, solltest du noch einmal die Hand gegen mich erheben. Diesen Schwur werde ich einhalten, selbst wenn es meinen eigenen Tod bedeutet. Aus dem Bordell habe ich dich einige Male geworfen, doch das war niemals ohne Grund. Es macht sich nicht gut fürs Geschäft, wenn ein Betrunkener im Empfangsraum sitzt.«
»Ja, sag schon, dass ich ein Säufer bin.«
»Das muss ich nicht sagen. Ein jeder weiß es und es war das einzige, wofür Suzette sich zeit ihres Lebens schämte.«
Émile schlug ihm ins Gesicht, doch er wich nicht zurück. Er zog abermals an den Ketten. Das Metall selbst gab nicht nach, doch dort, wo sie an der Wand befestigt waren, glaubte Jean-François, dass sie lockerer wurden. Aus den Augenwinkeln betrachtete der die drei anderen Männer. Zwei von ihnen sahen weg, doch der Dritte beäugte ihn neugierig.
»Doch weißt du auch, mein Klugscheißer, warum ich so wurde, warum ich meine Gedanken und meine Erinnerungen im Wein ertränkt habe?« Émile starrte ihn mit einem jahrzehntealten Hass an. »Deine Existenz allein, du, der Schandfleck auf meiner Ehe und meiner Ehre, du Hurenkind und Hexenbalg. Ich werde dich töten, Jean-François.« Émile lachte boshaft. »Doch zuvor wirst du leiden. Du wirst leiden, wie ich all die Jahre gelitten habe und doch wird es nie genug
Weitere Kostenlose Bücher