Wolfsmondnacht (German Edition)
schwarzen Vulkangestein angefertigt, darunter auch spezielle Schwerter.
Seine Hand wanderte zu dem Obsidianmesser, das er stets griffbereit bei sich trug. Doch gegen Schwarze Magie half auch das nichts. Was hatte Merdrignac vor? Vergrub man die magischen Tande nicht unter Türschwellen, Bäumen und Kreuzwegen? Warum auf dem Friedhof?
Mortemards Atem stockte, als die Erkenntnis ihn überkam. Nekromantie! Merdrignac war ein Totenbeschwörer. Mon dieu ! In was war er nur hineingeraten? Welch Ungeheuerlichkeit von Merdrignac, Madame Mirabeau in derartige Dinge hineinzuziehen!
Er hätte es sich ja denken können, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Niemand war im Leichenhandel besser als er. Nicht, dass er selbst nur allgemein als ehrbar anerkannte Dinge tat, doch handelte er im Namen von Wissenschaft und Forschung, auch wenn die Obduktion von Menschenleichen hier in Paris verboten war. Er befand sich in einer Grauzone. Was Merdrignac hier tat war jedoch nicht mehr grau - es war schwärzer als schwarz.
Mortemards Herz hämmerte gegen seine Brust. Er fluchte leise. Eilig verließ er den Friedhof.
Er hatte ernsthafte Befürchtungen, dass Jean-François Merdrignac einer der loup-garou war. Die Art, wie sich das Mondlicht in seinen Augen reflektierte, war ein Hinweis darauf. Womöglich hatte Merdrignac sich mit dem anderen seiner Art auf dem Friedhof treffen wollen. Doch was hatte Madame Mirabeau damit zu tun? Oder die tote Katze? Es passte alles nicht zusammen.
Monsieur Mortemard glaubte, Schritte zu vernehmen, doch als er kurz stehen blieb, war nichts mehr zu hören. Unbehelligt setzte er seinen Weg zu seinem Haus in der Rue Mouffetard fort.
Pamina hasste das schwarze Kleid. Sie hasste die Puffärmel und noch mehr hasste sie die mühlsteinähnliche spanische Halskrause.
Die Zofe steckte ihr das Haar hoch und wand Goldfäden hinein. »Ihr seid die schönste Braut, die ich jemals gesehen habe.«
Pamina antwortete nicht. Die Zofe setzte ihr Werk lächelnd fort. Wenigstens jemand, der sich an der bevorstehenden Hochzeit erfreute. Wie sehr Pamina, als sie noch ein Kind war, ihren Bruder um dessen Vorrecht auf den Thron beneidet hatte. Stets war sie immer nur die Zweite gewesen, noch dazu eine Tochter, anstatt eines ersehnten Sohnes. Ihr Vater dachte, sie gleichzubehandeln, doch Pamina spürte den Makel während ihrer gesamten Kindheit.
Nun gehörte ihr alles. Das Volk, das Reich und die Krone. Nur ihr Herz, das gehörte einem anderen. Nicht einmal der König selbst würde es besitzen, denn es kam nicht wieder zu ihr zurück. Pamina berührte ihre Lippen und dachte an Jean-François’ letzten Kuss. Niemals wieder würde er sie küssen, was sie mit tiefer Wehmut erfüllte.
Sie starrte in den Spiegel und sah in die leeren Augen einer Fremden. Sie fühlte inzwischen nichts mehr, nicht einmal mehr Hass auf das spanische Kleid oder auf diesen Tag. Die Zofe legte ihr den Schleier um. Sie war fertig.
Pamina ging zum Richtplatz.
Die Kirche lag nicht weit vom Haupthaus. Es war das größte Dorf der loup-garous . Kein Mensch lebte hier. Es war der Ort von Paminas Kindheit, der Ort ihrer einstigen Unbeschwertheit, der Ort, an dem ihre Familie starb. Generationen ruhten auf dem angrenzenden Friedhof. Paminas Geist, so erschien es ihr, weilte bereits unter ihnen.
Vor der Kirche stand Thetis, die Älteste des Volkes. Sie trat an diesem Tag an die Stelle von Paminas verstorbenem Vater. Silberborten zierten Thetis’ bodenlanges weißes Gewand. Anderthalb Jahrhunderte hatte sie gesehen. Ihr einst schwarzes Haar war jetzt eine silberweiße, hüftlange Flut. Die Spuren der Zeit konnten nicht verhindern, dass sie schöner war als die meisten Jüngeren.
Pamina legte ihre Hand auf den Arm der Älteren und ließ sich von ihr zum Traualtar führen. Veilchenduft stieg aus Thetis Haar auf, als diese sich zu ihr beugte.
»Lächele, mein Kind, lächele.«
Pamina zog ihre Mundwinkel nach oben zu einem Lächeln, von dem sie glaubte, dass jeder ihr dessen Falschheit ansehen musste. An Thetis’ Seite ging sie gesenkten Hauptes zum Altar. Die Kirche war voll, denn nicht jeden Tag heiratete des Königs Tochter. Sie spürte all die Augen auf sich ruhen, roch die anderen und hörte sie. Gesenkten Hauptes schritt sie zum Altar. Erst kurz bevor sie diesen erreichte, hob sie ihren Blick.
Der Priester wartete schon, ebenso Laurent Vauthier, ihr Bräutigam, der zukünftige König der loup-garou . Er war ein Freund ihres Vaters gewesen und nur
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