Wolfsmondnacht (German Edition)
wenige Jahre jünger als dieser jetzt wäre, würde er noch leben. Laurent war ein stattlicher Mann, um den sie viele beneiden würden, nur nicht sie selbst. Vielleicht konnte sie seinen maskulinen Zauber nur deshalb nicht entdecken, weil sie ihn zu lange kannte. Wie sollte sie den künftigen Gatten und den Liebhaber, in jemanden erkennen, auf dessen Knie sie als Kind geschaukelt hatte? Wie sollte sie ihn auf diese Weise lieben können, wenn ihr Herz bereits an einen anderen Mann vergeben war?
Scheuer als beabsichtigt blickte sie Laurent an, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, da er einige Jahre im Süden verbracht hatte. Er sah jünger aus, als sie erwartet hatte. Seine Augen waren dunkel. Ein sanfter Ausdruck lag darin, als er sie anlächelte. Ihre Ehe würde nicht lieblos werden, zumindest nicht von seiner Seite aus. Pamina senkte, beschämt über sich selbst, den Blick.
Sie vernahm des Priesters Worte, doch ihren Sinn nicht.
»Pamina Cazardieu, Tochter des Raoul, Tochter der Penelope.« Seine Worte verschwommen in ihrem Geist zu einem weißen Rauschen. Der Glanz der Kirche ging an ihr vorbei. Selbst die Wärme von Laurents Kuss drang nur gedämpft zu ihr durch. Der von ihm kurz angehobene Schleier sank zurück mit einem kühlen Luftzug, der ein Gefühl der Leere in ihr hinterließ. Nur verschwommen sah Pamina ihren Ehemann.
»Geht es dir gut, Kleines?« flüsterte Laurent in ihr Ohr.
Sie nickte. Wie leicht es war, zu lügen auf eine Frage, auf die man stets unaufrichtig antwortete. Wohl erwartete niemand etwas anderes. Keiner wollte die Wahrheit wissen. Alles war nur Fassade, Lug und Trug und schöner Schein. Sie blickte Laurent verstohlen von der her Seite an. Ihre Blicke trafen sich, von ihr unbeabsichtigt. In seinem erkannte sie aufrichtige Sorge, was sie berührte. Als er ihr den Brautstrauß überreichte, streichelte er mit der anderen Hand kurz über ihre Wange. Es war eine Geste des Trostes und der Zuversicht.
Verlegen blickte sie hinab auf die Blumen in ihrer Linken. Weiße Rosen und Schleierkraut. Laurent umfasste ihre freie Hand und führte Pamina aus der Kirche. Sie schritten durch die Reihen des jubelnden Volkes zum Haupthaus, dem Stammsitz der Wolfskönige, wo auch schon ihr Vater einst residiert hatte. Nun würde sie die Königin sein. Eine traurige Königin.
Die Leute folgten ihnen in den festlich und prachtvoll geschmückten Saal. An Laurents Seite nahm sie ihren Platz an den hufeisenförmig aufgestellten Tischen. Die köstlichen Düfte von gebratenen Kalbsfüßen und Truthahn traten in ihre Nase, dennoch befürchtete, keinen Bissen hinunterbringen zu können.
»Was möchtest du?«, fragte Laurent.
Sie sah auf und begegnete Laurents Blick, in dem sie Zuneigung erkannte.
»Ein wenig von dem Truthahn und Wein, bitte.«
Laurent goss ihr den Kelch voll und legte ihr etwas auf den Teller. Pamina stocherte mit dem Messer darin herum. Der Truthahn war mit Speck und Esskastanien gefüllt. Vorsichtig nahm sie einen Bissen davon. Es schmeckte vorzüglich, doch noch immer hatte sie keinen richtigen Appetit, obwohl sie bereits beim Frühstück wenig gegessen hatte.
Die Stunden vergingen, während sie sich bemühte, zu essen und zu lachen und all die Glückwünsche entgegenzunehmen. Es fühlte sich alles falsch und unwirklich an. Sie sollte jetzt nicht hier sein, denn sie liebte einen anderen. Doch als sie all die erwartungsvollen Gesichter ihres Volkes sah, wusste sie, dass die bittere Entscheidung die richtige war. Womöglich flüchtige Gefühle waren kaum von Bedeutung gegen die Schwere ihrer Verantwortung gegenüber all diesen Werwölfen.
Gegen Mitternacht legte Laurent seine Hand auf die ihre.
»Dir ist unpässlich?«, fragte er.
»Ich bin nur ein wenig müde. Es war ein anstrengender Tag.«
Laurent erhob sich von der Tafel, ohne seine Hand von der Paminas zu nehmen. »Meine Gemahlin und ich werden uns zurückziehen. Ihr könnt weiterfeiern, solange Ihr mögt. Ich wünsche Euch allen eine gute Nacht.«
Auch Pamina erhob sich und folgte Laurent in ihre gemeinsamen Gemächer. Es waren drei Räume, deren zweiflügelige Verbindungstüren offen standen. Der vorderste besaß einen Schreibtisch und mehrere Bücherschränke. Der Raum dahinter ähnelte eher einer Wohnstube mit den bestickten Wandbänken, zwei Tischen, den Lederbehängungen an den Wänden, den Kommoden und Bücherschränken. Auch hier waren Rot, Grün und Gold die vorherrschenden Farben.
Auf allen Tischen und Kommoden
Weitere Kostenlose Bücher