Wolfsmondnacht (German Edition)
Glaubt nicht an das Gerede der Leute.«
»Und die ständig wechselnden Mieter? Wie viele waren es in den vergangenen sieben Jahren? Sechs oder sieben Mieter? Etwas viel, oder findet Ihr nicht auch?«
»Ich habe Euch bereits gesagt, wie Euer Vormieter war.«
»Und die anderen sechs?«
»Nun, sie hatten ihre Gründe. Einer zog aus geschäftlichen Gründen um.«
»Und zwei brachten sich um. Etwas hohe Freitodrate, findet ihr nicht auch? Und keiner von ihnen stammte aus Padua, weil niemand aus der Stadt das Haus mieten möchte. Nicht umsonst steht es schon beinahe ein Jahr lang leer.«
Signor Bertolo schluckte, als er mit der unbequemen Wahrheit konfrontiert wurde. »Die Menschen sind abergläubisch. Sie glauben an Hexen, die sich in Bäume und Tiere verwandeln können, an Poltergeister, Nachtmahre und sogar an wandelnde Leichen.« Er schüttelte den Kopf. »Das müsst Ihr Euch mal vorstellen!«
Jean-François räusperte sich. »Das ist kaum zu glauben.« Er lächelte schwach. »Doch kommen wir zu den Tatsachen, Monsieur Bertolo. Es ist schwierig, Mieter für dieses Haus zu finden.«
»Aber nur aufgrund der Gerüchte. Eine Schande, da es ein so wunderschönes altes Haus ist. Es ist weitaus mehr wert.« Signor Bertolo tat empört, obgleich das Haus durchaus einige Renovierungsmaßnahmen nötig hätte. Der Glanz einstiger Zeiten war verblasst, daran gab es nichts zu beschönigen.
»Ihr habt die Wahl: Entweder Ihr vermietet es an mich zu meinen Konditionen oder Ihr sucht Euch einen anderen.«
Signor Bertolo kaute auf seiner Unterlippe. »Das gefällt mir gar nicht, doch ich will nicht so sein und werde um Euretwillen mit Signor Rocchi sprechen. Kommt Morgen wieder vorbei, doch macht Euch nicht zu viele Hoffnungen.«
Jean-François trat zur Tür. » À bientôt , Monsieur Bertolo.«
Am darauffolgenden Abend hatte Jean-François die Zusage und gleichzeitig einen unterschriebenen Mietvertrag. Das Leben war gut! Selbst wenn man ihn zu übervorteilen versuchte, kam er siegreich daraus hervor.
Noch in derselben Nacht zog er in das Haus ein. Vom Geist fand er in den Wochen, die folgten, keine Spur. Er richtete sich häuslich ein. Die meisten der Räume standen leer, doch in den wenigen, die er benutzte, befanden sich jetzt Truhen, Kommoden, silberne Kerzenständer sowie Tische und Stühle aus Nussbaumholz. An den Wänden hingen Bilder, die diese Mauern mit Leben erfüllten, scheinbaren Leben, denn der Tod hauste hier.
Jean-François kehrte gerade Heim. Aus den Höhen des Firmaments sah er, wie ein Eindringling sein Haus über den Balkon betrat. Ein Meuchelmörder, wie nett! Jean-François verfolgte seinen Mörder auf seinem Weg durch das Wohnzimmer und den Flur in das unbenutzte Schlafgemach. Schwarz gewandet war der Mann, der wirklich mit den Schatten zu verschmelzen wusste. Ein Glasdolch glomm in seiner Hand auf, als er den schmalen Streifen Mondlicht passierte, der durch den Spalt der zugezogenen Vorhänge hindurchtrat. Der Meuchelmörder beugte sich über das Bett. Von der gekrümmt daliegenden Gestalt lugte nur ein dunkler Schopf unter der Bettdecke hervor.
Der Meuchelmörder tastete vorsichtig mit den Fingerspitzen über das Haar, stutzte, zog die Perücke vom Kopfkissen und starrte auf die Stelle darunter, wo nur ein Kissen lag. Er riss die Decke zurück. Auch hier befanden sich nur Kissen und eine zusammengerollte Decke.
»Sucht Ihr mich?«, fragte Jean-François im Plauderton. Es kostete ihm viel Selbstbeherrschung, nicht laut aufzulachen. Die Angelegenheit war einfach zu amüsant!
Der Meuchelmörder fuhr herum. Jean-François blickte in eisgraue Augen, die außer der Kinnpartie das einzige waren, was nicht von einer schwarzen Maske bedeckt war. Ihm entging nicht, dass der Meuchelmörder in die Tasche seines Gewandes greifen wollte, um eine Waffe hervorzuholen.
Jean-François kam ihm zuvor. Blitzschnell nahm er dessen Hand, bohrte seinen Daumen in jene Vertiefung zwischen den Fingern, was dem Meuchelmörder ein leises Aufstöhnen entlockte. Das Messer entglitt seiner Hand und fiel klirrend zu Boden.
»Ich habe Euch erwartet. Obwohl ich nicht gedacht habe, dass Ihr so attraktiv sein würdet.«
»Ihr könnt mich nicht kennen.« Des Meuchelmörders Stimme war tief und melodiös. Wie schwarzer Samt. Eine Berührung in dunklen Räumen.
»Ich erkenne den Tod, wenn ich ihn sehe, selbst wenn er eine Maske trägt.« Mit einer Bewegung, die so schnell war, dass kein Mensch sie verhindern konnte, zog
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