Wolfspfade 6
während er gleichzeitig meinen keuchte, und diese beiden Worte waren auf unerklärliche Weise noch intimer als die Handlung, die ihnen vorausgegangen war.
Der Orgasmus übermannte uns wie eine Naturgewalt; seiner fachte den meinen an und meiner den seinen. Die lustvollen Empfindungen dauerten an und wurden dabei immer intensiver, anstatt sich abzuschwächen.
Sobald die letzten Zuckungen verebbt waren, rollte er seinen schweißnassen Körper von meinem.
Ich muss anschließend eingeschlafen sein. Das ist die einzige logische Erklärung für das, was als Nächstes geschah. Ich gewahrte einen Schatten, der am Fenster vorbeihuschte, und schlug die Augen auf.
Durch die Scheibe starrte der größte Wolf, den ich je gesehen hatte.
15
Nicht, dass ich je einen gesehen hatte, außerhalb des Zoos. Aber diese Tiere waren immer verzottelt, klapperdürr und gezähmt gewesen. Der hier war das nicht.
Das Biest war riesig und mit seinen gefletschten Zähnen, von denen der Geifer troff, verflucht Furcht einflößend. Das Fell schimmerte hell – weiß, vielleicht auch golden –, wobei ich nicht erkennen konnte, ob es tatsächlich die Farbe oder nur eine Reflektion der Straßenlaterne war. Ich erinnerte mich nicht, je einen weißen Wolf gesehen zu haben.
Das war mein erstes Indiz dafür, dass der Wolf nicht real sein konnte, noch bevor ich dann seine Augen bemerkte. Sie waren viel zu menschlich.
Ich riss meine eigenen auf. Wann waren sie mir zugefallen?
Ich drehte den Kopf und spähte in das fahle Licht der Dämmerung, das durch das nun leere Frontfenster hereinwaberte. Rodolfo hatte die Nase an meinem Hals vergraben, und mir tat alles weh.
Fast hätte ich gerufen: „Hast du ihn gesehen?“, aber ich konnte mich gerade noch beherrschen, etwas derart Blödes von mir zu geben.
„Anne?“ John richtete sich auf und bückte sich nach unten, um seine Hose hochzuziehen. „Alles okay?“
„Ja.“ Meine Schlafanzughose war irgendwo zwischen der Bar und dem Tisch verlorengegangen. Ich holte sie und stieß meine Beine hinein, dabei behielt ich weiter das verwaiste Fenster im Auge.
„Ich …“ Er fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar. „Ich hätte das nicht tun sollen.“
Mein Gehirn, das sich gerade von den letzten Nachwehen sexueller Befriedigung klärte, fing an, Fragen zu stellen, und mein Mund tat es ihm nach. „Warum hast du es dann?“
„Ich scheine nicht dagegen anzukommen.“
„Ein ganzes Jahr ohne Sex kann so was schon bewirken.“ Ich steuerte in Richtung Treppe.
Er fasste nach meinem Arm und hielt mich fest. „Das ist nicht der Grund.“
„Nein? Ganz bestimmt liegt es nicht an meinem Aussehen, der Form meines Hinterns, meiner Oberweite oder meiner charmanten Persönlichkeit.“
Sein Mund formte ein Lächeln. „Du weißt es nicht, habe ich recht?“
„Was meinst du?“
„Wie wunderschön du bist.“
„Ja, klar doch. Wie geschaffen zur Schönheitskönigin.“
Er kam ganz nah zu mir und strich zärtlich mit den Fingern über meine Wangen, meine Nase, mein Kinn. Ich blieb wie gelähmt stehen, war nicht fähig wegzulaufen, obwohl ich wusste, dass ich das tun sollte.
„Dieses Gesicht hat Charakter. Es wird bewohnt. Es hat Dinge gesehen, hat geliebt. Das ist attraktiver, als Perfektion je sein könnte.“
Eine Fingerspitze verharrte an meinen Lippen. Mein Körper reagierte wieder auf seinen, ich schloss die Augen und kämpfte um eine Kontrolle, die in Gegenwart dieses Mannes unmöglich schien. Hatte er mich mit einem Zauber belegt?
Ich trat einen Schritt zurück, um mich seiner Berührung zu entziehen und klar denken zu können. Denn in einem angeblich verfluchten Haus über einen potenziellen Liebeszauber zu sinnieren, kurz nachdem ich einen Wolf gesehen hatte, der nicht existieren konnte, hatte definitiv nichts mit klarem Denken zu tun.
„Danke“, stammelte ich und meinte es auch so. Nie zuvor hatte mich jemand als schön bezeichnet. Auch wenn die Aussage von einem blinden, nach eigenem Bekunden Verrückten stammte, schmeichelte sie mir mehr, als sie sollte.
„Vielleicht wäre es besser, wenn du nach Hause gehst“, murmelte er. „Damit meine ich Philadelphia.“
Mein Herz wummerte einmal laut. „Du willst, dass ich gehe?“
Er atmete tief ein und wieder aus. „Nein. Trotzdem wäre es das Beste.“
„Das Beste für wen?“
„Für dich, chica .“
„Ich werde darüber nachdenken“, versprach ich, mit dem festen Vorsatz, es auch zu tun. Allerdings bezweifelte ich stark,
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