Wolfspfade 6
sah den dickbäuchigen Schatten durch die Gasse hinter dem Rising Moon flitzen.
Ich schüttelte den Kopf; Maggie fasste das als Antwort auf und sprach weiter. „Vermutlich probiert irgendwer einfach nur einen Zauber aus, den er im Internet entdeckt hat.“
„Ja, vermutlich.“
„Das bedeutet noch lange nicht, dass er sich in einen lougaro verwandelt hat.“
„Einen was?“, seufzte ich.
„Einen Voodoo-Werwolf.“
Plötzlich bekam ich kaum noch Luft. Sullivan hatte den Verdacht geäußert, dass jemand, der sich für einen Werwolf hielt, all die Menschen umbrachte.
Aber was, wenn jemand, der tatsächlich ein Werwolf war, sie umbrachte?
16
Meinem Lachen haftete etwas leicht Hysterisches an, was mir gar nicht ähnlich sah. Ich zwang mich, damit aufzuhören, einen Schluck Kaffee zu trinken und tief durchzuatmen.
Nur weil da ein mit Tierfiguren geschmückter Altar gewesen war, die dazu dienen konnten, einen Voodoo-Zauber zu wirken, um einen Menschen in einen Wolf – oder eine Katze, ein Schwein, ein Huhn – zu verwandeln, hieß nicht, dass es wirklich passiert war. So leichtgläubig war ich nicht.
„Ich muss wieder an die Arbeit“, teilte Maggie mir mit.
Unfähig zu sprechen, nickte ich stumm.
„Das sind nur Legenden“, fügte sie hinzu. „Es existiert Magie auf dieser Welt; daran glaube ich, aber nicht an diese Art.“
Ich räusperte mich. „Sie haben recht. Ich lasse mich von dieser Stadt kirre machen.“
„Typisch New Orleans. Man bezeichnet die Stadt auch als Spukmetropole Amerikas.“
„Na toll“, stöhnte ich, und sie grinste.
„Falls Sie noch Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.“ Sie lehnte sich zu mir und schrieb eine WWW-Adresse auf eine der Servietten. „Das ist die Internetseite, auf der ich die meisten Informationen gefunden habe. Sie können es immer zuerst mit ihr versuchen. Es gibt sogar eine E-Mail-Adresse, falls man noch Fragen hat. Das ist eine gute Hilfe.“
„Danke.“
„Kein Problem.“ Sie ging, und ich blieb allein im Garten zurück.
Was jetzt?
Jemand mit Zugang zum Rising Moon hielt sich für einen lougaro oder glaubte zumindest, zu einem werden zu können. Leute verschwanden oder wurden tot aufgefunden, nachdem sie die Bar besucht hatten. Bestand da eine Verbindung?
Wie Maggie gesagt hatte: „Es gibt keine Zufälle.“ Ich hielt auch das nicht für einen.
Vermutlich sollte ich Sullivan davon erzählen, nur was konnte ich ihm schon erzählen? Er würde der Gestaltwandler-Theorie nicht mehr Glauben schenken als ich.
Beim Verlassen des Cafés entsorgte ich die Totems in der erstbesten Mülltonne. Vielleicht würde das ja helfen.
Allerdings hatte ich da so meine Zweifel.
Ein paar Tage später setzte ich alles daran, ein wenig zu schlafen, bevor meine Schicht anfing, jedoch mit sehr geringem Erfolg. Ich warf mich hin und her. Mein Kissen fühlte sich klumpig an.
Als ich es hochhob, kam darunter ein weiteres mit scharf riechenden Kräutern gefülltes Säckchen zum Vorschein.
Wer machte das nur ständig? Die Vorstellung, dass jemand in meinem Zimmer gewesen war und mein Kissen berührt hatte, behagte mir ganz und gar nicht. Was hatte derjenige sonst noch angefasst?
Fest entschlossen, mit King darüber zu sprechen, legte ich das Ding auf mein Nachtkästchen. Gleichzeitig würde ich darauf bestehen, dass sowohl unten in der Bar als auch an meiner Zimmertür die Schlösser ausgetauscht wurden. Allem Anschein nach konnte jeder x-Beliebige jederzeit hier reinspazieren und machen, was er wollte. Nur dass man ihn nie zu sehen bekam.
Und warum war das so?
„Geister“, murmelte ich, mich an Sullivans Hinweis erinnernd, dass es in diesem Haus, genau wie in zahllosen anderen der Stadt, spukte. Allerdings glaubte ich auch nicht an Geister.
Ohne die sprichwörtliche Erbse unter der Prinzessin schlief ich dann doch noch ein, bevor ich mit dem ersten Tastenanschlag des Klaviers unten im Club wach wurde. Blausamtene Dunkelheit wirbelte im Zimmer umher.
Die sanften Töne wirkten sich beruhigend auf meine Nerven aus. Ich musste erst in einer Stunde unten sein, und im Moment war die Verlockung, noch eine Weile einfach so dahinzudriften, zu stark, um ihr zu widerstehen. Bei meiner Ankunft hatte ich Jazz nicht gemocht, aber je mehr ich davon hörte und darüber erfuhr, desto mehr wuchs er mir ans Herz.
Ich ließ mich auf den Wellen der Musik treiben, schwebte zwischen den beiden Welten, nicht wach und nicht schlafend, zugleich bei vollem Bewusstsein
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