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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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kummervoll wie jemand, der seinen besten Freund verloren hatte – besaß er überhaupt einen? –, und da brachte ich es nicht über mich, ihm meine Gesellschaft zu verweigern. Außerdem wollte ich im Moment auch nicht allein sein.
    Auf dem Schreibtisch stand eine Flasche Cabernet. Ein sehr teurer noch dazu. Ich konnte mir bei Rodolfo nicht vorstellen, dass er etwas anderes trank.
    Er holte einen Kaffeebecher aus der Schublade und legte seine schlanken Finger um den Rand, bevor er die Flasche neigte, um einzuschenken.
    Gluck. Gluck. Gluck.
    „Das klingt gut“, bemerkte ich.
    Natürlich brauchte ich keinen ganzen Kaffeebecher voll Rotwein; ich würde auf dem Hintern landen, noch bevor ich die Hälfte geleert hätte. Andrerseits wäre es nach allem, was ich heute erlebt hatte, vielleicht gar keine schlechte Idee, mich volllaufen zu lassen.
    John reichte mir den Becher, und ich starrte in seine Tiefen. Die schwappende rote Flüssigkeit erinnerte mich viel zu sehr an Blut. Ich würgte einen Schluck hinunter und stellte den Becher beiseite.
    „Schmeckt er dir nicht?“
    „Ich trinke nie viel.“
    „Ich auch nicht“, behauptete er und genehmigte sich einen kräftigen Zug.
    Mit schräg gelegtem Kopf fragte ich: „Steht Rotwein nicht ganz oben auf der Meide-es-wie-die-Pest-Liste für Migränepatienten?“
    „Es gibt eine Liste?“
    „Selbstverständlich. Hat dein Arzt denn nicht …“ Da fiel mir seine Reaktion wieder ein, als ich nach dem Überfall auf ihn vorgeschlagen hatte, einen Arzt zu konsultieren. „ Warst du überhaupt bei einem Arzt?“
    „Ja.“
    Ich verengte die Augen. „Bei welchem?“
    Er nahm noch einen gewaltigen Schluck. „Ihr Name würde dir nichts sagen.“
    Ein Tropfen hing an seiner Unterlippe. Seine Zunge glitt heraus und fing ihn ein, bevor er fallen konnte. Ich vergaß, worüber wir gesprochen hatten.
    Meine Kehle war plötzlich trocken, deshalb griff ich ebenfalls nach meinem Becher. Als ich schluckte, breitete sich flimmernde Hitze in meinem Magen aus.
    „Du hattest einen schwierigen Abend“, stellte er mit sanfter Stimme fest.
    „Ja.“
    Ich fühlte mich verunsichert und durcheinander. Sullivan war irgendwo da draußen – verletzt, vielleicht tot oder sterbend, und ich konnte ihm nicht helfen. Ich wusste noch nicht mal, wer oder was ihn verletzt hatte.
    Er war mein Freund, wenn nicht sogar mehr. Meine Gefühle für Sullivan verwirrten mich ebenso sehr wie das, was ich für Rodolfo empfand. Wie hatten die Dinge so sehr aus dem Ruder laufen können?
    „Diese Stadt …“, begann ich. „Sie ist …“
    Ich konnte meine Gedanken nicht artikulieren. New Orleans war zugleich hypnotisierend und mörderisch, alt und modern, manchmal gemächlich, dann wieder hektisch. Der Stadt haftete etwas an, das auch diesen beiden Männern innewohnte.
    „Während meiner Kindheit war New Orleans einfach wunderschön.“ John holte tief Luft und ließ sie zusammen mit einem Seufzen entweichen. „Diese Stadt war mit keiner anderen zu vergleichen.“
    „Das ist sie noch immer nicht.“ Zumindest in dem Punkt war ich mir ganz sicher.
    „Sie ist sehr alt. Wahrscheinlich sogar älter als die meisten anderen. Manche würden sie deshalb als out bezeichnen, aber ich finde, dass es sie zu etwas Besonderem macht. Sie hat die Zeiten überdauert. Sie hat all den Seuchen, den Kriegen, den Wirbelstürmen getrotzt, oui ?“
    Von seiner Stimme völlig in Bann geschlagen, nickte ich nur. Er klang nun nicht mehr angetrunken.
    „Viele Gräuel sind über sie hereingebrochen, abgezogen und wiedergekehrt. Ich liebe diese Stadt. Sie ist ein Teil von mir, und ich möchte sie nie wieder verlassen.“
    Spontan ging ich zu ihm, nahm ihm den Becher aus der Hand und stellte ihn weg. „Das musst du ja auch nicht.“
    Sein Lächeln war traurig und durchdrungen von jener Melancholie, die so oft auf eine alkoholbedingte Hochstimmung folgt. „Man kann nie wissen, was das Schicksal für einen bereithält.“
    Da hatte er nicht ganz unrecht. Ich war nach New Orleans gekommen, um Katie zu suchen, und hatte ihn gefunden. Was als einmaliges Abenteuer, dann als kurze Romanze gedacht gewesen war, hatte sich zu mehr entwickelt. Auch ich wusste nicht, ob ich würde gehen können, wenn die Zeit gekommen war.
    Ich nahm seine Hand, drehte die Handfläche nach oben und zeichnete die dünne weiße Linie mit dem Daumen nach. Ich hatte ihn nie wieder danach gefragt.
    „John“, wagte ich den Vorstoß, aber er entzog sich mir.
    „Ich muss

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