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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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bösartigste Knurren aus, das mir je untergekommen war. Ich riss meine Hand zurück, als eine Millisekunde später seine Zähne an der Stelle zuschnappten, wo sie eben noch gewesen war.
    Sein Gesicht war eine Fratze. Schaum stand ihm auf den Lippen. Wurden seine Zähne vor meinen Augen länger? Hätte mir Sullivan nicht selbst gesagt, dass die Tollwut eine Inkubationszeit von ein bis drei Monaten hatte, hätte ich ihn jetzt Lassie gerufen.
    In Wirklichkeit ging mir eher so was wie American Werewolf in New Orleans durch den Sinn.
    Ohne Sullivan aus den Augen zu lassen, trat ich, so schnell ich konnte, den Rückzug an. Keinesfalls würde ich ihm den Rücken zukehren. Verzweifelt wünschte ich mir, nicht so nachlässig mit dem Gris-Gris umgegangen zu sein. Was hätte ich dafür gegeben, das kleine Säckchen in diesem Moment in meiner Hand zu halten.
    Mein Absatz stieß gerade gegen die erste der Stufen, die zur Veranda des Rising Moon führten, als Sullivan sein Gesicht der Nacht entgegenhob und heulte. Dieses Heulen, in dem sich Zorn mit Freude paarte, barg nichts Menschliches.
    Ich konnte mich nicht rühren; ich konnte nichts weiter tun als gebannt vor entsetztem Staunen beobachten, wie er sich verwandelte.
    Seine Zähne wurden länger; sein Mund wölbte sich nach vorn und verschmolz mit seiner Nase. Die Stirn wurde flacher, die Ohren stellten sich auf.
    Knochen knackten und knirschten. Sein Hemd sprang auf; die Hose zerriss; sein einzelner Schuh schien zu bersten. Für einen Sekundenbruchteil illuminierte die Straßenlaterne noch bleich schimmernde Haut, dann spross gelbbraunes Fell aus jeder Pore.
    Sullivans Rücken krümmte sich; wie bei einem Alien kräuselte sich etwas entlang seiner Wirbelsäule. Füße und Hände formten sich zu Pfoten; Nägel wurden zu scharfen, gebogenen Krallen. Das Allerletzte, was aus dem Körper hervorbrach, war ein Schwanz. Er fing an zu wedeln, während die riesige goldfarbene Bestie den Kopf hob.
    Sullivans Augen starrten mir aus einem schockierend veränderten Gesicht entgegen. Die Kombination aus Vertrautem und Fremdem ließ mich um Luft ringen, woraufhin er die Schnauze zu einer hündischen Version eines Grinsens verzog. Er genoss das hier.
    Er hatte von einem Wolf mit „menschlichen Augen“ gesprochen. Die Bestie hatte Sullivan gebissen, und nun war er selbst eine.
    Ich hatte die Vorstellung von Werwölfen als lächerlich abgetan, aber sehen bedeutet glauben, folglich hatte ich nun kein Problem mehr damit. Mein einziges Problem bestand darin, wie ich ihn dazu bringen konnte, sich zurückzuverwandeln.
    Er knurrte mich wieder an. Der Unterschied zwischen dem früheren Laut, der aus einer noch immer menschlichen Kehle gedrungen war, und diesem, der aus dem Bauch der Bestie hochstieg, war vergleichbar mit dem zwischen einem Gewitter und einem Wirbelsturm: Ersteres war beunruhigend, Letzteres oft tödlich.
    Ich konnte den Blick nicht von seinen Augen lösen, die mir schokoladenbraun und umrahmt von purem Weiß entgegenstarrten. Es waren in jeder Hinsicht Sullivans Augen, mit einer Einschränkung: ihr Ausdruck.
    Ich sah Böses in diesen Augen – Hass, Verlangen, allerdings nicht nach meinem Körper, sondern vielmehr nach meinem Blut.
    Er pirschte sich heran, kam Schritt für Schritt näher, scheinbar unbesorgt, dass ich nach drinnen laufen und jede einzelne Tür schließen und verbarrikadieren könnte.
    Vor meinem inneren Auge blitzte die Vorderseite des Hauses auf – zwei riesige Fenster, die es den Passanten auf der Frenchmen Street erlaubten, an den Lichtern, der Musik, der Magie Anteil zu haben.
    Mueller hatte gesagt, dass in Alaska Timberwölfe bis zu hundertzwanzig Pfund schwer wurden. Sullivan musste als Wolf annähernd sein menschliches Gewicht von zweihundert Pfund plus x auf die Waage bringen. Es wäre für ihn ein Kinderspiel, durch eine der beiden Glasscheiben zu springen. Ich bezweifelte sogar, dass ihn eine Tür würde aufhalten können, wenn er wirklich hineinwollte.
    Und dem Ausdruck seiner Augen nach wollte er das.
    Da ich trotzdem nicht einfach tatenlos herumstehen und mich von ihm umbringen lassen konnte, schob ich mich rückwärts langsam weiter in Richtung Tür.
    Er machte einen Satz auf mich zu; ich kreischte. Ich stolperte, strauchelte, knallte mit dem Steißbein auf die Treppe und blieb winselnd liegen.
    Der Wolf beschnüffelte meinen Schritt. Ich schlug die Knie zusammen und versetzte ihm dabei eins auf die Schnauze. Er schüttelte den Kopf und

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