Wolfsruf
Geruch seiner Erregung bereits gewittert habe.
»Haben Sie viele Indianer getötet, Major?«
»Unzählige, Madam. Mein zerschnittenes Haupt zeugt von der bestialischen Brutalität dieser Wilden. Aber obwohl wir zahlenmäßig weit unterlegen waren, haben wir sie niedergemacht. Bald sind wir sie alle los. Wir von der Elften Kavallerie beschützen alle Siedler und Goldgräber vor den Angriffen des
roten Mannes … und, wenn ich hinzufügen darf, vor seiner tierischen, zügellosen Lust.«
»Ah, Sie sind ein so tapferer Mann …«
»Ich tue nur meine Pflicht.« Sie tanzten schweigend weiter. Dann sagte der Major: »Was hat sie eigentlich in diese gottverlassene Gegend verschlagen, Natalia? Im Fort kursieren Gerüchte … dass eine neue Stadt aufgebaut werden soll, mit europäischem Geld … eine Stadt mitten im Nichts, weit von allen Straßen, allen Eisenbahnlinien entfernt. Und angeblich haben … Sie etwas mit dieser Stadt zu tun.«
»Eine Stadt mitten im Nichts! Aber Major, warum sollte jemand so etwas bauen wollen?«
Sie hielt Ausschau nach ihrem Cousin, aber der wanderte gerade zum Büfett hinüber. Wer köderte hier wen? Hatte der Major sie nur aufgefordert, um ihr Informationen zu entlocken?
»Wenn es um Gold geht, Madam - ich kann ein Geheimnis für mich behalten.«
»Gold hat nichts damit zu tun, Major.«
»Wenn es um etwas anderes geht … seien Sie versichert, dass ich Ihnen nach Kräften helfen werde.«
»Wir werden es nicht vergessen«, sagte Natalia. Sie wandte den Blick ab. Der schöne junge Captain kam auf sie zu. Er starrte sie verlangend an, ein Gefühl, urteilte Natalia, das von Groschenheften und grotesken romantischen Gedichten geschürt wurde. Wenn er bloß wahres Verlangen kennen würde - den brennenden Durst nach Dunkelheit. Sie wollte ihn.
Er streckte ihr seine Hand entgegen und verbeugte sich.
Ein anderer Mann stieß ihn grob beiseite. Aber nein, es war gar kein Mann - es war die Revolverheldin, die vorhin so mannhaft die Ehre der Chinesin verteidigt hatte. Sie verbeugte sich steif wie ein Mann und blickte sie mit einem ironischen Schmunzeln an. Natalia lachte. »Major Sanderson«, erklärte sie und löste sich aus seinem Griff, »vielleicht gefällt Ihnen nicht,
wenn ein anderer Mann Sie ablöst, vor allem, wenn es ist ein Mann von niedrigerem Rang; aber Sie können sich nicht beklagen, wenn der Mann eine Frau ist!«
Sanderson schien das tatsächlich nicht zu gefallen, aber er musste mitspielen, wollte er sich nicht zum Trottel machen. Die Gäste um sie herum hielten inne und deuteten auf die beiden, während die Revolverheldin Natalia wieder auf die Tanzfläche führte. Sie bemerkte, dass auch Valentin Nikolaievich zu ihnen herübersah und dass seine Miene tiefe Abscheu verriet. Was für ein Glücksfall, dachte sie. Ich habe doch eine Methode gefunden, wie ich meinen blöden Cousin vor den Kopf stoßen kann. Hartmut hat ihn als meinen Beschützer, meinen Verteidiger mitgeschickt, aber er glaubt, er wäre mein Kerkermeister. Sollen mich die Leute doch anstarren! Ich will Aufmerksamkeit erregen! Wenn man sich sowieso nicht unauffällig geben kann, dann ist gar keine Verkleidung die beste Verkleidung.
»Verdammt!«, befand Zeke. »Da hat jemand stärkere Geschütze aufgefahren als du … und weibliche Geschütze noch dazu!«
Scott versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber Zeke konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Er wollte gerade versuchen, das Thema zu wechseln, als Zeke plötzlich erstarrte. Er wurde bleich.
»Beweg dich nicht. Schau zur Tür. Siehst du?«
Scott konnte zuerst überhaupt nichts sehen, weil ihm so viele Menschen den Blick versperrten. Dann entdeckte er eine schlanke Frau in einem gelben Baumwollkleid. Sie hatte langes schwarzes, zu Zöpfen geflochtenes Haar. »Eine Indianerin«, sagte Scott. »Aber …«
»Diese Frau«, sagte Zeke, »wär’ mein Weib geworden, wenn dieser niederträchtige Hurensohn Grumiaux sie mir nicht weggeschnappt hätte!«
»Was tut sie hier?«
»Das sollten wir lieber herausfinden.«
»Grumiaux hat sie auch bemerkt. Er scheint ziemlich verwirrt zu sein, und seine Chinesenfrau sieht aus, als würde sie ihm gleich eine verpassen!«
Sie drängelten sich durch die Menge. Grumiaux und seine Frau eilten ebenfalls dem Eingang zu - Major Sanderson war wie entfesselt und brüllte etwas wegen gottloser Wilder.
Sie kreisten die Indianerin vollkommen ein. Scott sah, dass die Frau Angst hatte, aber all ihren Mut zusammennahm.
Weitere Kostenlose Bücher