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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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Als sie Major Sanderson entdeckte, erstarrte sie. Hatte sie etwa das Massaker überlebt?
    »Toi!« Little Elk Womans Gatte schien verunsichert, als er sich ihr näherte. »Warum bist du gekommen? Ist etwas mit dem Jungen?«
    Sie antwortete ruhig und in fließendem Lakota.
    »Was sagt sie?«, flüsterte er Zeke zu.
    »Sie sagt, dass das Kind vor drei Jahren fortgelaufen ist und nach seinem Vater sucht. Das Leben im Reservat war nichts für ihn. Aber sie ist nicht wegen dem Kleinen gekommen. Sondern wegen dem Massaker.«
    Grumiaux sprach erneut, und sie antwortete wieder, diesmal noch leiser als zuvor. Zeke sagte, sodass nur Scott es hören konnte: »Nachdem er sie verlassen hat, hat sie mit einem alten Indianer zusammengelebt, der Seven Horses hieß. Im selben Lager, das wir …«
    »Oh.«
    »Sie will uns warnen. Ihr Mann is’ tot, und ihr Bruder kümmert sich nicht um sie, weil sie einmal einem Weißen gehört hat. Deshalb is’ sie hierhergekommen, um ihr Glück bei ihrem ersten Mann zu versuchen. Als die Krieger heimgekommen sind und ihre Frauen und Kinder klein gehackt gefunden haben, waren sie natürlich ziemlich sauer und wären am liebsten sofort auf den Kriegspfad gegangen. Aber ihre Verbündeten, die Nachbarstämme, sind zu feige. Sie haben beschlossen, aufs Frühjahr zu warten. Ein paar von ihnen sind nach Kanada hoch, wo sie
Sitting Bulls Flüchtlinge dazu überreden wollten, bei dem Angriff mitzumachen. Aber ich hab ein Gerücht gehört, dass Sitting Bull sich bald in Fort Buford stellen will … die Große Großmutter Victoria war nicht so großzügig, wie er gehofft hat.«
    »Ich kann dieses Heidengeschwätz nicht mehr ertragen! Schafft diese unverschämte Barbarin hinaus!«, zeterte Sanderson. Er zog seinen Zierdegen aus der Scheide, den er, da er nur zur Zierde diente, nicht an der Tür abgegeben hatte. »Oder ich beschäftige mich selbst mit ihr.«
    »Das ist sehr taktlos von Ihnen, Major!«, sagte Grumiaux und stellte sich ihm in den Weg. »Warum erfreuen wir uns nicht an dem Ball? Es wäre bedauerlich, wenn die Feier zu Ehren Präsident Garfields mit einem Blutvergießen enden würde … auch wenn es sich nur, wie Sie sagen würden, um das Blut von Barbaren handelt.«
    »Verdammte Zivilisten …«, beschwerte sich Major Sanderson, aber er schob den Säbel zurück in die Scheide und mischte sich wieder unter das Volk.
    »Meine Freunde …« Grumiaux gab Zeke und Scott ein Zeichen. »Wir werden uns unterhalten müssen. Ich weiß, dass wenigstens einer von euch verstanden hat, was diese Frau gesagt hat. Ich glaube, es wäre das Beste, sie zu meinem Haus zu begleiten …«
    Zeke wandte sich an Scott: »Du hörst besser nicht, was sie uns erzählt … Wenn du es hörst und es nicht meldest … dann ist das Hochverrat.«
    »Aber …«, setzte Scott an. Er saß in der Falle. Er wusste, dass Zeke recht hatte; er wusste auch, was Zeke riskierte, wenn er der Frau weiter zuhörte. Mindestens eine unehrenhafte Entlassung, wenn nicht gar den Tod durch den Strang.
    Zeke sprach mit einer Zärtlichkeit zu der Frau, die Scott gar nicht an ihm kannte: »Hekhalawin.«
    Die Indianerin schien Zeke jetzt erst wahrzunehmen. »Zeke«, sagte sie.

    Grumiaux wollte etwas einwenden, aber die Chinesin packte ihn fest am Arm.
    Zeke sagte: »Ich weiß, dass du nicht vorgehabt hast, zu mir zurückzukommen, Little Elk Woman. Aber ich schätze, du hast genau das getan.«
    Die beiden Frauen sahen einander an. Trotz ihrer abgetragenen, verblichenen Kleider schauten beide würdevoll und zugleich indigniert drein. Plötzlich brachen sie in Lachen aus und begannen, aufeinander einzuschwatzen, jede in ihrer Sprache. Was für Klänge! Zeke und Grumiaux und die Indianerin und die Chinesin ließen Scott allein an der Tür zurück. Sie gaben ihm mit keiner Geste zu verstehen, dass er mitkommen solle. Und obwohl Scott verstand, warum Zeke ihn ausgeschlossen hatte, war er verletzt. Wieder einmal standen Dinge zwischen ihnen, die er nicht verstehen konnte. Die Musik setzte wieder ein, diesmal mit einer Polka.
    Er sah den Major fluchend auf und ab stolzieren; Vishnevsky war ins Gespräch mit widerwärtig aussehenden Kerlen vertieft, die am Büfett herumlungerten; und Natalia Petrowna tanzte immer noch mit der berüchtigten Calamity Jane. Er fühlte sich fehl am Platz und elend. Ich kann mir geradeso gut etwas zu trinken holen, sagte er zu sich selbst.

6
    North Platte, Nebraska
    Der Sonntag wurde auf der U. P. in aller Feierlichkeit begangen,

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