Wolfsruf
schrie auf! Fiel auf alle viere und begann zu jaulen. Claggart schlug noch mal zu, Striemen brachen auf, rotschwarze Flüssigkeit quoll hervor - und ein vertrauter Geruch: »Na so etwas, Alter, jetzt hast du dich auch noch vollgepisst«, sagte Claggart kichernd, während er den Indianer mit der Silberkette fesselte.
Der Alte knurrte. »Ist Mondmetall«, keuchte er. Natürlich, dachte Claggart, es gibt kaum Silber im Territorium, vielleicht weiß der Alte gar nichts von seiner Wirkung.
Ein paar Borsten stachen durch die Wangen des Indianers, und seine Haut begann sich zu schälen. Um einen Augapfel lag das Fleisch bloß. Claggart beobachtete fasziniert, wie sich ein Netz von Falten von jenen Stellen aus über das ganze Gesicht breitete, wo das Silber getroffen hatte. »Mond-Metall … guter Name, Alter«, meinte er anerkennend. »Und jetzt sag mir, wo der Junge ist, sonst kriegst du es gleich noch mal zu schmecken.«
»Hanbl ẽcheya«, antwortete der Alte. Seine Stimme klang wie ein tiefes Knurren.
»Spar dir das Indianergeschwätz.«
»Er … auf … Suche … nach Traum.«
Der Junge war also auf der Suche nach einer Vision! Er war selbst zum Wilden geworden! Um so besser.
»Pass auf, alter Mann, ich hab auch eine Vision gehabt. Die Vision von mir und dem Kleinen … die Vision von Goldbergen, die bis zum Himmel reichen. Ich war ein Scharlatan und Hochstapler; ich hab schon viele Vermögen gewonnen und verloren,
aber ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich was Schöneres, Größeres und Besseres will als alles, was ich bisher gehabt habe. Auch ich habe Träume, Alter.« Stumpfe Augen starrten ihn an, einst gelb, jetzt verschleiert wie gestockte Milch. Mit der Spitze seines Messers löste er einen Streifen Haut von der Wange des Indianers. Er kitzelte in seiner Hand, und feine Härchen wuchsen darauf, als wäre es Schweinsleder. Die Haut pulsierte; sie lebte noch. Cordwainer Claggart atmete tief den Duft brennenden Zedernholzes ein. Die Indianer verehrten den Schmerz; der Alte hatte nicht einmal aufgeschrien.
»Der Junge, der Junge!«, sagte Claggart, der sich an die Zugfahrt vor zwei Jahren erinnerte, als wäre es gestern gewesen. »Überall feine silberne Haare. Und seine Stimme, erst eine Kinderstimme, dann tief wie ein brüllendes Tier. Ich habe ihn während dieser Reise ausgiebig studiert … und, bei Gott, deine Reaktion auf meine Silberkette beweist, dass ihr die gleichen Wesen seid … den Lenden des Bösen entstiegen … ausgeschissen aus dem Loch der ewigen Dunkelheit! Ich kenne dich und deine Sorte, ich kenne euch sehr gut! Ich habe lange die Leute in Winter Eyes beobachtet und studiert und ausspioniert. Ich will verdammt sein, wenn es neben den weißen nicht auch rote Werwölfe gibt! Hör mir gut zu, mein Freund, weil ich dich bald umbringen werde. Ich hab noch nie etwas Übernatürliches getötet und werde deinen Tod mit größter Genauigkeit verfolgen.«
Wieder brachte er ein paar Schnitte im Gesicht des alten Mannes an. Es war, als würde er den Namen seiner Geliebten in die Rinde eines Baumes schnitzen, der seit Jahrhunderten unberührt im Wald stand. Der Indianer stöhnte leise, aber im Grunde schien es ihm nichts auszumachen. Er sang leise vor sich hin; vielleicht war das sein Todesgesang, dachte Claggart. Die Worte pfiffen aus seiner Kehle, aber Claggart verstand sie nicht. Vielleicht war es aber auch eine Warnung; vielleicht war der Junge ganz in der Nähe. Er durfte kein Risiko eingehen.
Mit leichtem Bedauern zwang er den Mund des alten Mannes auf, zog die Zunge heraus - sie war schlüpfrig wie eine alte Schlange - und schnitt sie ab. Blut spritzte heraus, und er hörte ein leises Gurgeln, als würde es auch in die Lunge hinunterlaufen. Claggart schmiss die Zunge ins Feuer, das kurz aufflackerte. Es roch gut.
»Ich will den Kleinen für mich allein, Alter. Vielleicht hältst du ihn für deinen Sohn. Vielleicht denkt dieser reiche Graf, er war der Vater von dem Wolfsjungen. Aber keiner von euch weiß, was ich weiß: Er ist wirklich aus der Dunkelheit geboren. Und weil ich das ganz bestimmt weiß, gehört er mir allein, und ich allein kann sein Vater auf Erden sein, anstelle seines Vaters in der Hölle.«
Aber das blöde Balg war auf der Suche nach einer Vision! Es war bestimmt nicht schwer, ihn zu finden. Er würde den Alten als Lockvogel benutzen. Deshalb durfte er ihn nicht gleich töten, sonst würde der Gestank den ganzen Wald verpesten und den Jungen warnen. »Das ist aber eine
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