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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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Willst du mehr?«
    »Nein. Claggart ist tot.«
    Natalia heulte auf.
    Über ihr zogen Wolkenberge vor das Gesicht des Mondes. »Das Kind!«, schrie sie und packte Juanita an der Schulter. »Sag mir, dass es tot ist … vergiftet durch das Silber in den Gitterstäben …«
    »Es ist befreit. Geheilt.«

    In den Häusern erhellten sich die Fenster. Sie heulte lange und schmerzlich, und der Wind erwiderte ihr Heulen.
    »Ein Mann aus dem Westen … tötete Claggart … stahl das Kind … Einer aus eurem Volk war bei ihm … ich hörte den Namen Castellanos.«
    Sie taumelte. Plötzlich war Vishnevsky da, eine Lampe in der Hand, und fing sie auf. Sie rief auf Russisch: »Die Kinder, Valentin Nikolaievich … die Kinder …« Sie fühlte sich unglaublich schwach. Deshalb hatten diese entsetzlichen Träume sie seit Tagen verfolgt! Ja - der Traum von einem Gefängnis, das ein Mutterleib war, von dessen Wänden Blut tropfte, das die schmerzvollen Zuckungen einer Totgeburt ertragen musste -
    »Wohin sind sie?«, fragte sie.
    »Nach Nordosten … in die Black Hills«, antwortete Juanita. »Ich habe die Karten gelegt. Und in Bitter Creek traf ich eine Frau, die sich nach dem Kind erkundigt hat …«
    Vishnevsky beruhigte sie. Sie atmete tief aus. Die Einwohner der Stadt schauten neugierig aus ihren Fenstern; aus ihrem Haus konnte sie Katyusha rufen hören: »Mutter, Mutter!«
    »Reite nach Fort Cassandra, mein Cousin«, befahl Natalia. »Major Sanderson muss augenblicklich kommen … sonst gibt es keine Zukunft mehr für uns.«

12
    Black Hills
    Zwei Tage vor Vollmond
     
    … Dann füllten sie den Bauch des Wolfes mit Wackersteinen und nähten ihn zu und warfen ihn in den Brunnen; und dort ersoff er jämmerlich …
    Speranza erstickte. Der Leib platzte - Blut schwappte herein - Blut in ihrer Nase, Blut in ihren Lungen, Blut -

    Sie erwachte. Im Wald. In der Dunkelheit. Das Feuer war erloschen. Der Wind heulte in den Baumwipfeln. Sie fühlte, wie ihr Blut schneller floss. Ein scharfer Geruch: Männer im Unterholz. Laub raschelte. Die Jäger kommen - die Jäger kommen. Sie dachte an den Traum - Blut tropfte von den Wänden des Mutterleibs, Blätter bluteten an sterbenden Bäumen.
    Das Pferd wieherte.
    Eine Hand über ihrem Mund und -
    Lachen! Ein Totenkopf starrte sie an! Sie holte aus, ihre Hand traf das Gesicht. Farbe schmierte fettig über ihre Finger, provozierte weiteres Gelächter, männlich, hässlich -
    Sie versuchte zu schreien. Die Hand schmeckte nach Dreck und Pferdekot. Sie musste würgen. Andere Hände zogen sie hoch, sie sah ein Messer mit Knochengriff aufblitzen und -
    Riss sich los, als der Schrei aus ihrer Kehle stieg - Gelächter.
    »Hokshila hin …«, sagte einer.
    Sie blieb stehen. Sie rührten sie nicht an, aber sie hörte an ihrem Atem, dass sie umzingelt war.
    Federn leuchteten, etwas berührte ihre Stirn und zuckte zurück - ein Stock. Ein freudiger Kriegsschrei. Sie strauchelte. Der Schmerz betäubte sie. Blut floss über ihr linkes Auge.
    »Onzé wichawahu kte lo!« Eine leise, eindringliche Stimme.
    Eine andere Hand packte sie am Ärmel, zerrte an ihrer Jacke. Sie wehrte sich, aber noch mehr Hände drückten sie zu Boden. Sie spürte, wie sich schwielige Finger unter ihr Hemd bohrten - o Gott, sie werden mich vergewaltigen, obwohl sie mich für einen Mann halten, dachte sie. Fingernägel kratzten über ihre Haut, betasteten eine Brust. Sie schrie wieder, schrie und weinte. Sie hörte Stoff reißen, kühle Luft strich über ihre Brust, der Atem des Fremden und -
    »Winyan ye lo!«, erklärte eine Stimme voller Abscheu.
    Pause. Sie befreite sich. Ihre Jäger waren nahe, berührten sie beinahe. Es war nur eine kurze Atempause. Sie würden sie vergewaltigen,
töten. Der Wald hatte sie verschlungen. Es gab kein Entkommen.
    »Winyan hecha …« Es war dieselbe Stimme - der Krieger war noch jung, und sein Antlitz unter der Totenkopfmaske wirkte verstört.
    Sie schüttelte sich den Dreck aus den Kleidern. Drei, vier, fünf Männer vielleicht. Augen im Dunkeln - Gesichter, die wie Totenköpfe bemalt waren. »Ja«, sagte sie. »Ich bin eine Frau und allein.«
    »Wichakte po!«, rief eine tiefere Stimme aus. Sie erkannte an dem Tonfall, dass man über ihren Tod beratschlagte. Da war das Messer wieder, glitt über ihre Kehle. Sie hielt den Atem an. Ein Schrei - ein Räuspern - und das Messer würde die Haut aufschlitzen. Sie schloss die Augen. Irgendwo rief eine Eule. Sie hörte die Blätter im Herbstwind

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