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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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Ort, einer Hügelkuppe, einem Dickicht, einer Lichtung, zu ihren Orientierungspunkten.
    Johnny ritt immer voraus, flankiert von den tapfersten Kriegern der Shungmanitu. Sie trugen zeremonielle Speere, die mit Federn und Menschenskalps geschmückt waren. Sobald Johnny das Wort ergriff, lauschten die Häuptlinge aufmerksam und gaben dann seine Worte an die anderen weiter.
    »Der dort ist Running Bull«, erläuterte ihr Teddy, »und der da drüben ist Man Who Talks To Himself; und da ist Iron Hand, der kein Werwolf ist, sondern ein Krieger, der mit Sitting Bull aus Kanada kam.«
    Sie sah einen Mann im Kriegshemd, das vollständig mit Menschenhaar bedeckt war - blondem Haar. Sie schauderte.
    »Alles Skalps von Weißen«, bestätigte Teddy. »Zum Beispiel der von Curt Moritz, dem Indianeragenten … einem Schweinehund, wie es selten einen gibt. Er tauschte Whisky gegen Indianerjungfrauen, die er dann für hundert Dollar das Stück an Hurenhäuser verhökerte.«
    »Ich kenne diesen Moritz«, bestätigte Castellanos grimmig. »Als ich bei den Comancheros war, zwang er uns, den Preis für den Schnaps zu halbieren, den wir an die Indianer verkauften. Er hätte uns fast das Geschäft verdorben.«

    Solchermaßen unterhielten sie sich, bis sie in die Nähe des Ortes Winter Eyes gelangt waren. Zu ihrer Verblüffung waren sie, ohne aufzufallen, durch Gebiete geritten, in denen die Kavallerie patrouillierte. Vielleicht wurden sie tatsächlich von dieser Traumkraft geschützt. Aber als Speranza darüber nachdachte, wuchs zugleich ihre Beklemmung.
    Und als sie die Stadt in der Ferne unter dem Schatten von Weeping Wolf Rock liegen sah, wurde ihre Angst fast unerträglich. Sie wusste - das hatte man ihr erzählt -, dass Hartmut von Bächl-Wölfling tot war. Auch ihn hatte ein Traum getrieben, bis in den Tod. Es schien ihr, als flöge sein Geist im Wind, der durch das hohe Gras strich, im Wind, der sie liebkoste und an seine Berührung erinnerte. Ich habe ihn geliebt, dachte sie.
    Johnny sprach zu den Häuptlingen. »Was sagt er?«, fragte sie Teddy, und sie ritten weiter nach vorn.
    »Er sagt, sie werden niemals Frieden schließen, wenn der ganze Stamm in die Stadt stürmt … er muss allein gehen; und sie sagen, dass sie ihn nicht allein ins Wolfsgehege lassen, weil er zu wertvoll ist.«
    »Ich werde mit ihm gehen«, erklärte sich Speranza bereit.
    Überrascht trug Teddy ihren Vorschlag vor. Es gab weitere Diskussionen. Dann sagte Johnny zu ihr: »Ja, das wusste ich. Es ist gut so. Viele in Winter Eyes halten dich immer noch für die rechtmäßige Königin und Natalia Petrowna für eine Erbschleicherin. Auch Teddy Grumiaux und Victor Castallanos sollten mit uns kommen. Wir vier können sie überzeugen, meine ich.«
    »Überzeugen, dass ein Tanz den Lauf der Welt ändern wird?«, fragte Speranza. Die Beklemmung saß ihr wieder im Nacken, zog ihren Magen zusammen.
    »Überzeugen, dass wir Wölfe ein einziges Volk sind, das dieses Land in Frieden bewohnen kann«, verbesserte Johnny, mit Verzweiflung in den Augen. Trotzdem zeigten die Gesichter der Shungmanitu Freude. Weiter hinten konnte sie Kinder hören, die im hohen Gras spielten.

    »Es wird bald Nacht«, meinte Castellanos. »Am besten reiten wir sofort in die Stadt. Ich glaube nicht, dass sie uns angreifen werden. Bei Sonnenaufgang sind wir zurück.«
    »Und wenn nicht?«, fragte Speranza.
    »Dann«, antwortete Teddy, »werden die Indianer sie vom Angesicht der Erde fegen.«
    »So wie die Menschen die Wölfe mit ihrer sarkoptischen Räude auslöschen«, ergänzte Victor Castellanos.
    Als sie die anderen eingeholt hatte, erkannte sie, dass ein Indianer - der mit den Skalps auf dem Hemd, der kein Shungmanitu war - mit einer silbernen Kugel spielte, die er aus einem Amulettsäckchen an seinen Hals herausgezogen hatte. Das Säckchen war mit Perlen und Silberdollars verziert. Sie starrte darauf und fragte sich, ob Iron Hands wohl um die Kraft des Metalls wusste.
    An seinem Sattel hingen zwei Gewehre.
    Die Beklemmung wuchs. Ihr Magen verkrampfte sich, und sie hörte ihr Herz klopfen, obwohl der Wind ohrenbetäubend laut pfiff.

13
    Winter Eyes
    Ein Tag vor Vollmond
     
    Wieder erwachte Natalia schweißgebadet. Die Kinder trommelten ihr mit den Fäusten gegen die Flanken, obwohl sie die Augen fest geschlossen hatte. Draußen auf der Straße ertönte Lärm.
    Sie eilte ans Fenster.
    Menschen auf der Straße. Die Witterung von Fremden - und eine sehr vertraute Witterung - der Geruch jener

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