Wolfsruf
Kinder, als dieser komische Graf dir je machen konnte. Ich werde dich rächen, Natalia, aber erst werde ich mir nehmen, was mir zusteht.«
Danach zog er sich langsam und bedächtig wieder an, Natalia war tot, und marschierte hinaus in den Regen, wo er Befehl gab, die Indianer zu verfolgen.
14
Weeping Wolf Rock
Vollmond
Speranza blickte kein einziges Mal zurück auf die brennende Stadt, obwohl sie den feuchten Qualm noch lange roch. Sie erreichten die Ebene, wo die Frauen und Kinder warteten. Die Musik zog mit ihnen mit, und sie spürte den Regen kaum. Ständig kreiste auch der Adler über ihnen, und es schien, als würde Johnny mit geschlossenen Lidern dem Adler folgen, den Pfad vor sich sehen, ohne dass er die Augen öffnen musste.
Sie tanzten im peitschenden Regen.
Johnnys Gesicht leuchtete. Der Regen wandelte sich zu Graupeln. Der Himmel war grau, grau war auch das hohe Gras, aschgrau waren die Gesichter der Tanzenden; sie tanzten gegen den Wind, und jeder Schritt war so schmerzhaft wie eine Geburt.
Sie tanzten.
Speranza ritt neben Teddy Grumiaux bei den Menschen, von denen die Prozession flankiert wurde; sie sah keine Sonne, nur kaltes Licht fiel durch die stahlfarbenen Wolken.
Blaue Strahlen zuckten um Johnnys Kopf und Schultern. Er hatte seine Augen nicht geöffnet, seit sie Winter Eyes verlassen hatten. Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, die Füße der Tänzer berührten den Boden nicht mehr, ja selbst die Pferde schwebten scheinbar auf einem Nebelkissen. Es schien ihr, als würde das Land mit unvorstellbarer Geschwindigkeit vorbeiziehen, schneller als hinter den Fenstern eines Zuges, als
würde die Zeit selbst vorbeiziehen und die Jahreszeiten mit jedem Lidschlag wechseln, Herbst in Winter in Frühling in einen wunderschönen Sommer - und sie dachte, jetzt sind wir ganz und gar in seinem Traum. Er hat die Realität und seine Vision verbunden.
Das Licht wirbelte um den Kopf des Jungen. Er schien plötzlich zu wachsen, all die Jahre aufzuholen, die er in dem Körper eines Jungen gefangen gewesen war - er wirkte beinahe erwachsen - es war Sommer, und das Gras rauschte, und sein goldenes Haar wehte im heißen Wind, und schon war es wieder Herbst, und der Wind riss die Blätter von den Eichen und fegte über das regennasse Gras - der Junge tanzte immer noch, und die anderen Männer fielen in seinen Freudentanz ein, sprangen herum wie junge Wölfe vor der Jagd, und die Frauen stimmten Geheul an, das wie ein Lied von Hunger und Lust klang.
»Teddy!«, sagte Speranza. »Hast du jemals etwas so Schönes, so Ergreifendes gesehen?«
»Ich sehe bloß die Graupeln, Miss Speranza, und den ewigen Regen.«
»Aber die Vision … die tanzenden Lichter … der Gesang der Wölfe …«
»Das ist nicht meine Vision«, antwortete er. »Schätze, ich gehe bald heim.«
»Heim?«
»Ich kannte mal ein Mädchen in Lead. Sie hieß Nita. Würde mich interessieren, ob sie sich noch an mich erinnert.«
Es begann zu schneien. Der Wind war beißend kalt; Speranza schauderte und ließ die Zügel des Pferdes los, darauf vertrauend, dass es dem Traum des Jungen folgen würde.
»Wenn das hier vorbei ist«, sagte Teddy, »gehe ich sie suchen. Sie hat es nicht verdient, als alte Hure zu enden. Sie ist ein gutes Mädchen.« In seiner Stimme schwang leise Verachtung mit. Aber Speranza verurteilte ihn nicht, wie sollte sie? Vor langer, langer Zeit hatte sie einmal geglaubt, dass eine gefallene
Frau nicht mehr gerettet werden könnte. Auch ich bin eine gefallene Frau, dachte sie. Wie seltsam ihr diese Vorstellung nun erschien, wo sie eines endlich erkannt hatte - wir sind alle gefallen, dachte sie, und wir müssen alle erlöst werden.
Die Sonne war immer noch nicht zu sehen. Die Tänzer bewegten sich durch Nebel und Schnee. Das Land war ohne Ende; Nebelschwaden wogten, und das beschneite Gras neigte sich, und der Wind sang. Endlich konnte sie Weeping Wolf Rock erkennen, eine verkrüppelte graue Silhouette mitten in der sich ständig wandelnden Schneelandschaft - und scheinbar lebendig.
Teddy erzählte weiter: »Ich habe zu viele Menschen getötet … und Wölfe. Es wird höchste Zeit, dass ich damit aufhöre. Ich ekle mich vor dem, was ich getan habe, Miss Speranza, und ich kann so nicht weitermachen.«
Er war noch so jung und hatte bereits solche Gedanken.
»Vielleicht finde ich eine neue Heimat bei den Indianern. Glauben Sie, sie werden mich aufnehmen? Die Weißen haben mich immer Halbblut und Mischling genannt,
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